Unterabschnitte
Kanonische Bewegungsgleichungen. Hamilton-Jacobische
Integrationstheorie
In diesem Kapitel wird noch ein neuer Typ von Bewegungsgleichungen, die kanonischen
Bewegungsgleichungen, abgeleitet werden. Diese eignen sich besonders
zu allgemeinen Untersuchungen über die allgemeine Struktur der Mechanik. Die
wichtigste Methode zur Lösung dieser Bewegungsgleichungen ist die der
kanonischen Transformationen die es gestatten, mittels bekannter
Integrale der Bewegung die Ordnung des Differentialgleichungssystems zu
erniedrigen. Die Hamilton-Jacobische Theorie gibt ein allgemeines Verfahren
zum Auffinden von solchen kanonischen Transformationen, die es im Prinzip
gestatten, die Bewegungsgleichungen vollständig zu lösen.
Kanonischer Impuls. Kanonische Bewegungsgleichungen
Die Newtonschen Bewegungsgleichungen sind am Anfang in kartesischen Koordinaten
angegeben worden. Die Geometrie des Kraftfeldes oder das Bestehen von
Nebenbedingungen, die die Bewegungsfreiheit der Massenpunkte einschränken,
legen oft
die Verwendung von krummlinigen Koordinaten nahe. Diese Transformationen der
abhängigen Variablen
die das mechanische System beschreiben, heißen Punkttransformationen.
Die zugehörigen Bewegungsgleichungen sind die Lagrangeschen Gleichungen 2. Art, Gl. (11.38).
Für die Einführung eines neuen Typs von Bewegungsgleichungen, der kanonischen
Bewegungsgleichungen, sprechen gewisse Gründe mathematischer Symmetrie.
Die Newtonschen Bewegungsgleichungen und die Lagrangeschen Gleichungen 2. Art
betreffen immer zweite Ableitungen der Teilchenkoordinaten, die Beschleunigungen,
während der mechanische Zustand der Systems durch die Koordinaten und
Geschwindigkeiten vollständig beschrieben wird. Die neuen Gleichungen werden
direkt die zeitliche Änderung der Koordinaten und Impulse beschreiben.
Ein weiterer Grund betrifft die Lösungsmöglichkeiten:
Will man bekannte Integrale der Bewegung zur Lösung der Bewegungsgleichungen
bzw. zur Verringerung deren Grades benützen, so reichen die Transformationen
(12.1) nicht aus. Denn diese Integrale der Bewegung, wie
z.B. Drehimpuls oder Gesamtenergie, hängen auch von den Geschwindigkeiten
oder Impulsen ab. Transformationen für solche Größen müssen daher
allgemeiner sein als die obigen Koordinatentransformationen (12.1).
Diese allgemeineren Transformationen, die auch
die Impulse erfassen, heißen kanonische oder
Kontaktransformationen. Diese
werden auf die kanonischen Bewegungsgleichungen angewendet.
Die kanonischen Bewegungsgleichungen werden aus dem Hamiltonschen Prinzip
(Gl. (11.81))
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(122) |
abgeleitet. Dieses Variationsprinzip wird gemäß einem allgemeinen Verfahren
auf kanonische Form gebracht. Dazu werden in Gl. (12.2) die
verallgemeinerten Geschwindigkeiten, , durch neue Variable,
, ausgedrückt mittels der folgenden Substitution (Legendretransformation):
Wenn die in das Hamiltonschen Prinzip (12.2) eingeführt
werden, muß der obige Zusammenhang zwischen und den
verallgemeinerten Geschwindigkeiten
durch Nebenbedingungen berücksichtigt werden
Die Nebenbedingungen werden mittels Lagrangescher Multiplikatoren in das
Variationsprinzip aufgenommen (vgl. in Kapitel 11 im
Anhang A Gln. (A.16) bis
(A.18)):
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(123) |
Die Eulerschen Gleichungen für dieses Variationsprinzip sind:
Von diesen wird zunächst nur der mittlere (unterstrichene) Satz herausgegriffen:
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(124) |
Die Lagrangefunktion für ein konservatives mechanisches Problem bzw. für eines
mit verallgemeinertem Potential für ein geladenes Teilchen in einem
elektromagnetischen Feld ist
Wegen
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(127) |
ist
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(128) |
Gemäß Gleichungen (12.4) wird nun als
Definition des kanonischen Impulses eingeführt:
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(129) |
heißt kanonisch konjugiert zu . , bilden ein kanonisch
konjugiertes Variablenpaar. Die Gln. (12.9) bilden ein lineares Gleichungssystem in den ;
dieses hat eine eindeutige Lösung, wenn die Funktionaldeterminante
det
Der Fall, wo diese Determinante Null ist, heißt ausgeartet und ist unwichtig.
Die Lösungen von (12.9) werden benützt, um die im
Variationsprinzip (12.3)
durch und auszudrücken. Ebenso werden für die kanonischen Impulse (12.9) eingesetzt.
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(1210) |
Führt man in die letzte Gleichung die folgende Funktion (Hamiltonfunktion) ein
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(1211) |
entsteht dabei ein zu Gl. (12.2) für die Zwecke der Mechanik äquivalentes
Variationsprinzip in kanonischer Form
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(1212) |
Dies ist die einfachste Form, die ein solches Variationsprinzip annehmen kann.
Es treten nur die Ableitungen der einen Reihe von Variablen auf, auch diese nur
linear. Die Eulerschen Gleichungen dieses Variationsprinzips
sind die Hamiltonschen oder kanonischen
Bewegungsgleichungen:
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(1213) |
Die vorhergehende Ableitung wird nochmals in Form eines Kochrezepts zusammengefaßt:
Aus der Lagrangefunktion
werden die kanonischen Impulse gem. Definition (12.9) gebildet
und nach den verallgemeinerten Geschwindigkeiten aufgelöst.
Letztere werden in die Definition der Hamiltonfunktion (E.: Hamiltonian)
(12.11) eingesetzt:
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(1214) |
Die Größe (12.9) wird als kanonischer Impuls bezeichnet,
weil in einfachen Fällen, z.B. in
der kanonische Impuls gleich dem gewöhnlichen linearen
mechanischen Impuls (3.17) ist. Dies ist aber nicht immer so. Z.B.
für das Zentralkraftproblem in Kugelkoordinaten ergibt sich
und haben nicht mehr die
Dimension von Impulsen. Die Hamiltonfunktion
ist gleich der Gesamtenergie . In §12.1.1
wird gezeigt, daß dies ziemlich allgemein gilt. Die Hamiltonschen Gleichungen
sind:
Mit ihrer Lösung werden wir uns erst später beschäftigen.
Die physikalische Bedeutung der Hamiltonfunktion
Wir betrachten eine Lagrangefunktion mit gewöhnlichem mechanischem
Potential:
|
(1215) |
Gemäß Gl. (12.8) ist die kinetische Energie eine homogene quadratische Form in den .
Nach dem Eulerschen Satz für homogene Formen (s. §12.1.3)
gilt daher:
|
(1216) |
Wegen (12.15) gilt weiter:
Setzt man obige Resultate in die Definition der Hamiltonfunktion
Gl. (12.11) ein, so folgt
Wenn die Terme der Hamiltonfunktion die in Gln. (12.8) aufgelisteten Eigenschafen haben,
dann ist Hamiltonfunktion gleich der Gesamtenergie des Systems, ausgedrückt durch die
verallgemeinerten Koordinaten und kanonisch konjugierten Impulse. Ein Gegenbeispiel: In rotierenden
Bezugssystemen ist die Hamiltonfunktion von der Gesamtenergie verschieden.
Die Hamiltonfunktion für ein geladenes Teilchen in
einem elektromagnetischen Feld
Die Lagrangefunktion für dieses Problem ist (s. Gl. 11.46)
Gemäß (12.8) ist die kinetische Energie
eine homogene quadratische Form in den ;
ist eine lineare
homogene Form in den . Das mechanische Potential und das
elektrische Potential sind von den unabhängig. Nach dem Eulerschen Satz für homogene Formen (s. §12.1.3) gilt:
Damit geht man in die Definition der Hamiltonfunktion
Auch hier ist die Hamiltonfunktion gleich der Gesamtenergie.
Die potentielle Energie enthält das mechanische Potential und das skalare elektrische Potential multipliziert mit der Ladung .
In kartesischen Koordinaten ist die Lagrangefunktion für ein Teilchen in einem
elektromagnetischen Feld gegeben durch:
Damit erhält man für den kanonischen Impuls und die
Geschwindigkeit:
Hier unterscheidet sich der kanonische Impuls vom linearen sogar um einen zusätzlichen Term !
Mit den obigen Ausdrücken geht man in die Gl. (12.11) ein und erhält für die
Hamiltonfunktion:
Die Hamiltonfunktion für ein geladenes Teilchen in einem
elektromagnetischen Feld ist also:
|
(1218) |
Das Eulersche Theorem für homogene Formen
Eine Funktion mehrerer Variabler
heißt eine
homogene Form, wenn sie nachfolgende Bedingung erfüllt:
Z.B. ist das folgende Polynom
eine homogene quadratische Form (oder eine homogene Form vom Grade 2);
eine homogene Form vom Grade . Der Ausdruck muß also kein Polynom, nicht einmal
eine rationale Funktion sein.
Der Satz von Euler lautet: Eine homogene Form vom Grade erfüllt
folgende Beziehung:
|
(1219) |
Der Beweis ist einfach: Man setzt
und bildet die totale Ableitung
nach der Variablen unter Benutzung der Kettenregel der Differentiation:
Setzt man abschließend in den unterstrichenen Teilen , ergibt sich die obige Formel.
Der Phasenraum (E. phase space) ist der reelle -dimensionale Raum der
Koordinaten
. In diesem entspricht der Bewegung eines Systems eine Raumkurve dargestellt
durch die Funktionen
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(1220) |
die Lösungen der das System bschreibenden Bewegungsgleichungen zu den
vorgeschriebenen Anfangsbedingungen. Diese Raumkurve heißt die Phasenbahn
(E. phase trajectory). Durchlaufen die Anfangsbedingungen alle für das System
zuläßigen Werte, überstreicht die entstehende Kurvenschar den ganzen Phasenraum.
Für ein ungebundenes System von Teilchen im dreidimensionalen Ortsraum
ist der Phasenraum -dimensional.
Schreibt man die kanonischen Gleichungen (12.13) als Differenzengleichungen, so
bekommt man:
Die Inkremente
geben den Zuwachs der Phasenkurve,
weisen also auf die nächste Zukunft des Systems. In diesen Gleichungen werden
die Inkremente
der Variablen, die den Zustand des Systems beschreiben, durch Funktionen eben
dieser Variablen ausgedrückt. Der augenblickliche Zustand eines Teilchens oder
eines Systems ist durch die Anfangsbedingungen, also durch die Lage und die
Geschwindigkeit ( Impuls) festgelegt. Die kanonischen
Bewegungsgleichungen geben die Änderungen dieser Größen und benötigen
keine weiteren. Daher sind die kanonischen Bewegungsgleichungen symmetrischer
als die Newtonschen Bewegungsgleichungen, die die Beschleunigung, also noch
eine weitere Größe, benötigen.
Der Phasenraum gestattet oft einen Überblick über die verschiedenen Typen von
Bewegungen eines Systems. Er ist daher für viele dynamische Untersuchungen von
Teilchenbewegungen in Beschleunigern, in der Astronautik und in der statistischen
Mechanik sehr zweckmäßig. Die Tatsache, daß unsere Vorstellung auf den
dreidimensionalen Raum beschränkt ist, ist ein Handikap (bei 2 Freiheitsgraden
ist der Phasenraum bereits vierdimensional!). Doch genügen für viele Zwecke
Projektionen des Phasenraums auf eine zweidimensionale Ebene. Diese Verwendung
des Phsenraums soll an einigen Beispielen vorgeführt werden.
Der eindimensionale harmonische Oszillator
Aus der Lagrangefunktion erhält man den kanonischen Impuls. Damit bildet man
die Hamiltonfunktion
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(1221) |
Aus den Hamiltonschen Gleichungen
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(1222) |
erhält man durch Elimination von wieder die Schwingungsgleichung mit der allgemeinen
Lösung:
Zur Anfangsbedingung:
gehört folgende Phasenbahn:
|
(1223) |
Abbildung 12.1:
Die Phasenbahnen des eindimensionalen Harmonischen Oszillators.
|
Diese ist in der -Ebene eine
Ellipse, auf der der den augenblicklichen Zustand des Systems beschreibende
Phasenpunkt während einer vollen Periode
einmal herumläuft
(Abb. 12.1).
Jedem Energiewert entspricht eine mit den anderen konzentrische Ellipse mit den
Halbachsen
und
.
Da in vielen Fällen nur die
Phasenbahn als ganzes, nicht aber der zeitliche Ablauf interessiert, ist es
nicht nötig, die Bewegungsgleichungen zu lösen; denn die Phasenkurve selbst
folgt bereits aus dem Energiesatz (12.21).
Die Energie ist erhalten. Dies ist der Grund, daß die Phasenbahn nur einen
eindimensionalen Teilraum der zweidimensionalen Phasenebene, die eben erwähnte
Ellipse ausfüllt. Wäre die Energie nicht erhalten, sondern ginge sie ständig verloren,
dann würden die Halbachsen der Phasenellipse ständig schrumpfen. Die Phasenbahn würde
dann das Innere der zum Anfangswert gehörigen Ellipse spiralig ausfüllen.
Das mathematische Pendel
Die kinetische Energie, die potentielle Energie (hier ist aber die z-Achse parallel
zur Erdbeschleunigung gerichtet, s. Abb. 12.2)
und die Lagrangefunktion sind unten angegeben. Daraus folgen der kanonische Impuls und die Hamiltonfunktion . Die Lagekoordinate ist
.
Aus der Hamiltonfunktion (= der Gesamtenergie E) können die verschiedenen
Phasenbahnen gefunden werden. In der Tabelle sind diese aufgelistet
und in Abb. 12.2 eingezeichnet. ist der kleinstmögliche Energiewert;
das Pendel ist in Ruhe.
Diesem Zustand entspricht der Mittelpunkt des Diagramms (); er heißt
das Librationszentrum. Für
schwingt das
Pendel. Die Phasenbahnen sind
geschlossene Kurven, die vom Phasepunkt in der angegebenen Richtung
durchlaufen werden. Dieser Bewegungstyp heißt Libration.
Für reicht der mögliche Variationsbereich der Lagekoordinate von der Vertikalen (
) bis wieder zur Vertikalen. Die Schwingungsdauer
ist aber unendlich. Deswegen durchläuft der Phasenpunkt in
Abb. 12.2 nur einen Teil des oberen oder des unteren Asts der durch und
gehenden Phasenbahn. Diese Limitationsbewegung trennt die Schwingungen von
den Rotationen des Pendels, die für eintreten. Letzteren entsprechen
die wellenförmigen Kurven ausserhalb der Separatrix im Phasenraumdiagramm, Abb. 12.2.
Dieser Bewegungstyp heißt Nutation.
Vom Standpunkt der Schwingungen kann man die Librationsbewegung als stabil
betrachten, die Nutation als instabil. Die der Limitationsbewegung entsprechende
Phasenkurve trennt das stabile Gebiet vom instabilen und heißt daher die
Separatrix.
Abbildung 12.2:
Die Phasenbahnen des mathematischen Pendels.
Notebook: K12WPlot.nb.
|
Die Typen der Bewegung des mathematischen Pendels
Wir betrachten ein Teilchen im Feld einer anziehenden Zentralkraft. Wir
benützen Polarkoordinaten in der Bahnebene. Die zugehörige Hamiltonfunktion
findet man aus der für Kugelkoordinaten (Beispiel am Ende von §12.1) mittels
der Spezialisierung
:
Der Drehimpuls ist konstant,
= const., die Bewegung ist eben.
Man kann die Betrachtung im Ortsraum auf die Bahnebene beschränken. Der Phasenraum
ist vierdimensional.
Einen Überblick über die verschiedenen Bewegungstypen erhält man, wenn man für
fixen Drehimpuls das Potential und
das Zentrifugalpotential
, deren Summe zum Pseudopotential
zusammengefaßt wird, aufträgt
(Abb. 12.3(a)). Für halten sich
Fliehkraft und anziehende Kraft das Gleichgewicht, die Bahn ist ein Kreis vom Radius .
Diesem entspricht im Phasenraum das Librationszentrum.
Für
ist die Bewegung auf einen Kreisring beschränkt, dessen
Grenzen und aus dem obigen Ausdruck für die Gesamtenergie
für
folgen.
entspricht ungebundener Bewegung
. Bei der Projektion
des vierdimensionalen Phasenraumes auf die -Ebene (Abb. 12.4) erhält man
geschlossene Kurven (Librationsbewegung) für
. Die Separatrix für
erstreckt sich bis ins Unendliche, ebenso alle Phasenbahnen mit
.
In der -Ebene (Abb. 12.3(c)) sieht
man die wahre Bahn. Doch kann man diese nur für einen festen Energiewert
aufzeichnen. Außerdem erfordert dies die Lösung der
Bewegungsgleichungen. Dagegen kann man die Diagramme,
Abb. 12.3(a) und 12.3(b),
direkt aus dem Energiesatz ableiten und in ihnen für alle Energien die wesentlichen
Eigenschaften der Bahn einzeichnen.
Wichtige praktische Anwendungen derartiger Betrachtungen im Phasenraum liegen in
der Astronautik. Ein Raumschiff, das vom Mond zur Erde zurückkehrt, darf nicht
zu langsam und nicht zu flach auf den terrestrischen Luftmantel auftreffen,
sonst wird es auf Niewiederkehr in den Weltraum reflektiert. Wenn es zu schnell
oder zu steil auftrifft, wird die Luftreibung es mehr als zulässig erhitzen.
Das sind im Phasenraum Bedingungen für minimale und maximale Geschwindigkeit
und Auftreffwinkel, die ein ''Fenster'' vorschreiben, durch das die Phasenbahn des
rückkehrenden Raumschiffes geführt werden muß.
Die kanonischen Koordinaten der gleichen Teilchen eines Systems werden
geschrieben als:
ist der mechanische Freiheitsgrad jedes Teilchens. Der zugehörige Phasenraum
hat die Dimension und heißt -Raum. In ihm wird der momentane Zustand des gesamten Systems von Teilchen
durch einen Phasenpunkt gegeben, der
längs der Phasenkurve läuft. Eine derartige Darstellung ist fast immer derart
kompliziert, daß sie praktisch selten angewendet wird.
Üben die (gleichen) Teilchen eines Systems keine Kräfte aufeinander aus
oder werden diese vernachläßigt, dann bewegt sich jedes Teilchen unabhängig
von den anderen in seinem 2f-dimensionalen Teilraum des gesamten Phasenraumes.
Die Hamiltonfunktion des Gesamtsystems ist eine Summe aus separierten Termen:
in der jeder Summand nur von den Koordinaten eines Teilchens abhängt. Man kann
dann alle diese -dimensionalen Teilräume des Phasenraumes in einen
einzigen 2f-dimensionalen
Phasenraum ( -Raum) projizieren, in dem jetzt Phasenpunkte
auf Phasenbahnen den momentanen Zustand des Systems darstellen; s. Abb. 12.4.
Jeder diese Phasenpunkte bewegt sich unabhängig von den anderen.
Vergleich des -Raums mit dem -Raum für ein System
von
Teilchen mit je Freiheitsgraden
Abbildung:
-Raum für ein System vieler eindimensionaler Harmonischer Oszillatoren.
a) Links: Diese schwingen unabhängig voneinander mit fast gleicher Energie, aber
mit statistisch verteilten Phasen.
b) Rechts: Diese schwingen mit fast gleicher Energie und nahezu gleicher
Phase (kohärent).
|
Z.B. ein System von eindimensionlen Oszillatoren kann dargestellt
werden wie in Abb. 12.4. In Abb. 12.5(a) haben die Oszillatoren nahezu gleiche
Gesamtenergie , aber ihre momentanen Lagen sind über alle Möglichkeiten
statistisch verteilt. In Abb. 12.5(b) haben die Oszillatoren
nicht nur gleiche Energie, sondern sie schwingen auch nahezu kohärent
(Modell für Laser).
Die statistische Mechanik benützt diese Beschreibung; sie liefert
gewissermaßen eine ''Hydromechanik der Flüssigkeit der Phasenpunkte'' im -Raum.
Wird nachgetragen !
Der Energiesatz
Die Hamiltonfunktion eines Systems ist gleich dessen Gesamtenergie (vgl. §
12.1.1 und §12.1.2). Ist das System konservativ,
dann ist die Hamiltonfunktion zeitlich
konstant. Hängen das mechanische Potential (Gl. (12.5)) und das Potential des
elektromagnetischen Feldes (Gl. (12.6)) nicht explizit von der Zeit ab, dann folgt
aus der Definition der Hamiltonfunktion, Gl. (12.11),
|
(1224) |
Die totale Zeitableitung der Hamiltonfunktion ist:
Die partielle Ableitung ist Null gemäß Gl. (12.24); die Summe verschwindet nach
Einsetzen der Hamiltonschen Bewegungsgleichungen (12.13). Integration ergibt
den Energiesatz:
|
(1226) |
Zyklische Variable und Integrale der Bewegung
Tritt eine Variable, z.B. , die das System beschreibt, in der Lagrangefunktion
nicht auf, heißt sie zyklisch.
zyklisch |
(1227) |
Zum Beispiel im Zentralkraftproblem
ist die Variable zyklisch. Wegen des periodischen Charakters von bei gebundenen Zuständen ist der Name zyklisch zutreffend; davon wird er mit der neuen Bedeutung
auf den allgemeinen
Fall (12.27) übertragen, selbst wenn die Bewegung nicht mehr periodisch ist.
Aus der Lagrangeschen Gleichung 2. Art für , Gl. (11.38), und aus der Definition
des kanonischen Impulses, Gl. (12.9), folgt, daß der zur zyklischen
Variablen , konjugierte Impuls , zeitlich konstant, also ein
Integral der Bewegung, ist:
const |
(1228) |
Die verallgemeinerte Geschwindigkeit, , muß aber in der Lagrangefunktion
vorkommen, sonst ist die Variable sinnlos. Aus der vorhergehenden Gleichung
folgt, daß auch in der Hamiltonfunktion nicht vorkommt:
|
(1229) |
Zusammenfassend: Jede zyklische Koordinate ist in der Hamiltonfunktion
nicht enthalten, wohl
aber ihr konjugierter Impuls. Dieser ist zeitlich konstant, ist ein Integral der
Bewegung. Daher ist es nicht mehr nötig, die kanonischen Bewegungsgleichungen
für dieses Paar zu lösen, die Ordnung des Problems verringert sich um 2.
Auch der Energiesatz (§12.3) läßt sich unter
diesem allgemeinen Fall subsummieren.
Die zyklische Variable ist die Zeit , der hiezu konjugierte Impuls
ist die negative Gesamtenergie .
Ein Integral der Bewegung ist im allgemeinen eine Funktion
, die von der Zeit unabhängig wird, wenn man für und
die Lösungen der kanonischen Bewegungsgleichungen einsetzt. Diese Eigenschaft kann auch
ohne Kenntnis dieser Lösungen festgestellt werden. In die totale Zeitableitung des
Ausdruckes werden die kanonischen Bewegungsgleichungen eingesetzt:
Für ein Integral der Bewegung eines Problems, das durch die Hamiltonfunktion
beschrieben wird, muß
|
(1231) |
herauskommen, wenn in der vorhergehenden Gleichung und eingesetzt werden.
Bei der Lösung eines vorgegebenen mechanischen Problems wird man alle Integrale
der Bewegung, die man kennt, heranziehen, um die Ordnung des Systems von
Bewegungsgleichungen zu erniedrigen. Dazu muß man diese in die Bewegungsgleichungen
einführen. Dies geschieht mittels der kanonischen Transformationen. Besonders
erstrebenswert ist es, eine solche kanonische Transformation aufzufinden, daß in der
neuen Hamiltonfunktion alle Variablen zyklisch sind. Dann gilt:
Damit ist das Problem vollständig gelöst. Ein Verfahren zum Auffinden solcher
günstiger kanonischer Transformationen bietet die Hamilton-Jacobische
Integrationstheorie.
Ein mechanisches System ist durch eine Hamiltonfunktion
beschrieben, die Bewegung erfolgt gemäß den Hamiltonschen Bewegungsgleichungen.
Man geht zu
neuen kanonisch konjugierten Variablen über, für die man auch
eine neue Hamiltonfunktion
erhält. Es werden nur solche
Transformationen zugelassen, daß auch in den neuen Variablen die
Bewegungsgleichungen kanonische Form haben.
Die kanonischen Transformationen sind die nichtsingulären Transformationen
|
(1233) |
In den alten Variablen , wird die Bewegung durch das
Hamiltonsche Prinzip, z.B.
in kanonischer Form (12.35), festgelegt:
|
(1234) |
Wenn in den neuen Variablen das Hamiltonsche Prinzip die äquivalente
Form hat
|
(1235) |
dann geben die Eulerschen Gleichungen dieses Variationsproblems die
Bewegungsgleichungen in der Form
Es ist nicht verlangt, daß die beiden Integrale in den Variationsprinzipien
(12.34) und (12.35) identisch werden, sondern nur, daß
sie gleichzeitig ihr Extremum annehmen: Wenn das Integral (12.34)
für die Funktion , sein Extremum annimmt, so soll es das
Integral (12.35) für die Funktionen , tun,
die aus den , mittels der Transformationen(12.33)
hervorgehen. Dafür ist
notwendig und hinreichend, daß sich die beiden Integranden nur um die totale
Zeitableitung einer willkürlichen Funktion unterscheiden
|
(1237) |
Denn das Integral dieser Funktion ist konstant; dessen Variation ist Null, daher
ist (12.35) Null, wenn (12.34) Null ist.
Gl. (12.37) und die Funktion sind äußerst wichtig für die
praktische Durchführung kanonischer Transformationen. F heißt die
erzeugende Funktion der kanonischen Transformation.
In Gl. (12.38) wurden alle abhängigen Variablen , , , als Argumente angegeben. Wegen der
Beziehungen (12.33) sind aber nur dieser Variablen
unabhängig; die übrigen Variablen können mittels
Gln. (12.33) durch die ersten ausgedrückt werden. Es ist
für die weiteren Anwendungen notwendig, daß die erzeugende Funktion bekannt ist und, daß sie von der alten und von der neuen
Variablen abhängt. Z.B. kann angenommen werden, daß nur von den und abhängt und dieses wird in
Gl. (12.37) eingesetzt. Der resultierende Ausdruck wird
anschließend umgestellt.
Alle und sind voneinander unabhängig, ebenso deren Zeitableitungen.
Die obige Identität kann nur bestehen, indem die Koeffizienten aller und
aller , damit auch die rechte Seite Null sind. Dies führt zu folgender
Vorgangsweise:
|
(1240) |
Bei der Ausrechnung der kanonischen Transformation werden im ersten Schritt
die Gln. (12.40c) nach den aufgelöst; dies
gibt die als Funktionen der neuen Variablen.
Im zweiten Schritt werden die erhaltenen Funktionen der neuen Variablen und
in die Gln. (12.40a) eingesetzt. Dies gibt die als Funktion der neuen Variablen,
dritter Schritt; im vierten Schritt werden
die so erhaltenen Ausdrücke für und in Gl. (12.40e) eingesetzt;
damit bekommt man die neue Hamiltonfunktion
als Funktion der
neuen Variablen. Gln. (12.40) lassen verstehen,
warum erzeugende Funktion genannt wird.
Als Beispiel wird am eindimensionalen harmonischen Oszillator die kanonische
Transformation durchgeführt, die von der folgenden Funktion erzeugt wird:
|
(1241) |
(e)
Die Variable ist zyklisch, daher ist der neue Impuls
konstant.
Vergleich mit den Lösungen in Gl. (12.23) zeigt, daß obige Lösungen
mit den ersteren für
übereinstimmen.
Aus Gl. (12.41e) ersieht man, daß proportional der Gesamtenergie ist. Diese ist ein Integral der Bewegung, daher muß die kanonisch konjugierte
Variable zyklisch sein. Die durch die Funktion erzeugte kanonische
Transformation gestattet, die Energie zur Lösung des Problems einzuführen. Aus
Gln. (12.41a) und (12.41b) errechnet man
ist ein Winkel, der die momentane Lage des Phasenpunktes auf der elliptischen
Phasenbahn angibt.
Ein anderer Typ einer kanonischen Transformation ergibt sich, wenn man annimmt,
daß die erzeugende Funktion nur von den alten Koordinaten und den neuen
Impulsen abhängt. Es ist dann zweckmäßig, Gl. (12.37) durch Hinzufügen und
Abziehen der Summe
umzuschreiben:
Die Zeitableitung wird ausgeführt, der resultierende Ausdruck umgeschrieben.
Wegen der Unabhängigkeit der und sowie deren Zeitableitungen
erhält man wie in Gln. (12.39) und (12.40) :
Man kann auch erzeugende Funktionen
und
benützen und in ähnlicher Weise wie in den obigen Gleichungen vorgehen, um die
Transformation auszurechnen. Diese 4 Typen werden in der nachfolgenden Aufstellung
zusammengefaßt:
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(1246) |
|
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(1247) |
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(1248) |
|
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(1249) |
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(1250) |
Der neue Ausdruck für die Hamiltonfunktion ist in allen Fällen der gleiche:
Hängt die kanonische Transformation nicht explizit von der Zeit ab (kanonische
Transformation im engeren Sinn), dann gilt
|
(1251) |
Die obige Aufzählung gibt noch nicht den allgemeinsten Typ einer kanonischen
Transformation. Denn es sind noch beliebige ''gemischte'' Typen zulässig, bei
denen die erzeugende Funktion von je der neuen Variablen ,
und je der alten Variablen , abhängt.
Dabei ist die Auswahl beliebig mit
der einzigen Einschränkung, daß nicht eine Variable zusammen mit ihrer
kanonisch konjugierten in vorkommen darf.
Man bildet die neue erzeugende Funktion:
Gl. (12.37) wird in geeigneter Weise umgestellt und entsprechend ergänzt,
es werden die obige erzeugende Funktion und ihre Zeitableitung eingesetzt:
Die unsterstrichenen Terme kürzen sich; die verbleibenden werden umgeordnet zu:
Wegen der Unabhängigkeit der
folgt dann:
Der Zusammenhang zwischen der alten und der neuen Hamiltonfunktion ist der gleiche wie oben
nach Gl. (12.48).
Es sind sehr viele verschiedenartige kanonische Transformationen möglich. Diese
hängen nicht von der Hamiltonfunktion ab, sondern nur vom Freiheitsgrad. Eine
gegebene kanonische Transformation kann auf alle Hamiltonfunktionen mit
entsprechendem Freiheitsgrad angewendet werden. Da man aber mit einer kanonischen
Transformation immer einen bestimmten Zweck verfolgt, nämlich die Reduktion
der Ordnung des Systems von Bewegungsgleichungen durch Einführung der bekannten
Integrale der Bewegung des Systems, muß man in jedem Fall die
entsprechende kanonische Transformation zu eben diesem Zweck aufsuchen.
Vom mathematischen Standpunkt interessieren bei einer Transformation (hier bei
einer kanonischen) immer die Größen, die bei diesen Transformationen unverändert,
d.h. invariant, bleiben. Aus der Anwendung kommt andererseits der
Wunsch, bei vorgegebenen Transformationen (12.33) feststellen zu können, ob diese
kanonisch sind. Beide Probleme hängen zusammen und werden hier behandelt.
Wir beschränken uns bei den Untersuchungen dieses Paragraphen auf kanonische
Transformationen im engeren Sinn, in denen also die Zeit nicht explizit auftritt:
|
(1252) |
- Die Bedingungen, die abgeleitet werden, gelten auch für kanonische Transformationen im
weiteren Sinn, Gln. (12.33), in denen auch die Zeit explizit
auftritt, doch sind dann
die Beweise ungleich komplizierter. - Die erzeugende Funktion der Transformation
hängt nicht explizit von der Zeit ab. Gemäß (12.51) sind daher alte und
neue Hamiltonfunktion gleich
|
(1253) |
Wir nehmen nun an, daß die erzeugende Funktion in Gl. (12.37) so umgeformt worden
ist, daß sie nur von der neuen Variablen und abhängt. Die eben
erwähnte Gleichung nimmt dann folgende Gestalt an:121
|
(1254) |
In dieser Gleichung wird berücksichtigt, daß (damit auch ) eine
Funktion der und ist. Zuerst wird die Ableitung ausgerechnet;
der resultierende Ausdruck wird in die obige Gleichung eingesetzt; diese wird
dann umgeordnet:
Wegen der Unabhängigkeit der und folgt
|
(1255) |
Wir setzen voraus, daß die erzeugende Funktion stetige zweite Ableitungen besitzt;
dann muß das Resultat von zwei Differentiationen unabhängig von der Reihenfolge der
Operationen sein.
Damit folgt aus Gln. (12.55):
|
(1256) |
Aus den zwei äußeren Kolonnen ergeben sich die Terme in den anschließenden
inneren Kolonnen, indem für die jeweils zweite Ableitung der ensprechende Ausdruck
aus den Gln. (12.55) eingesetzt wird. In den beiden inneren Kolonnen werden
die Differentiationen ausgeführt. Dann kürzen sich Terme. Die verbleibenden
können dann in folgender symmetrischer Form angeordnet werden:
Das Kroneckersymbol folgt aus
.
Die linke Seite jeder der obigen Gleichungen besteht aus 2f Termen, weil über den
Index k von 1 bis f zu summieren ist.
Die obigen Bedingungen, Gln. (12.57), sind notwendig und hinreichend für eine
kanonische Transformation. Aus der Existenz einer zweimal differenzierbaren erzeugenden
Funktion folgen diese Gleichungen. Umgekehrt, sind diese erfüllt, kann man den obigen Weg
rückwärts gehen und die Gln. (12.56) sind die Integrabilitätsbedingungen, die die
Existenz einer zu diesen Gleichungen gehörigen Funktion gewährleisten.
Die Ausdrücke in den Gln. (12.57) heißen Lagrange-Klammern
und werden durch das folgende Symbol bezeichnet:
|
(1258) |
Damit lauten die Bedingungen (12.57) :
|
(1259) |
Da auch die Umkehrfunktion einer kanonischen Transformation kanonisch ist, gilt
auch:
|
(1260) |
Zur Vereinfachung der weiteren Untersuchungen führen wir eine neue Schreibweise ein
und fassen die kanonischen Variablen unter einem einheitlichen Symbol zusammen:
|
(1261) |
Außerdem definieren wir die folgende schiefsymmetrische und orthogonale Matrix :
|
(1262) |
mit den Eigenschaften
det |
(1263) |
ist die f x f-Nullmatrix, die f x f-Einheitsmatrix. Damit schreibt
man die Lagrange-Klammern (12.58)
122
|
(1264) |
und die Bedingungen (12.59) bzw. (12.60) für kanonische Transformationen lauten:
Gln. (12.65) lauten in Matrixschreibweise:
Ein weiterer Typ solcher Differentialausdrücke sind die Poisson-Klammern :
|
(1267) |
Sie hängen mit den Lagrangeklammern zusammen gemäß
|
(1268) |
Denn es ist
Mittels (12.68) kann man aus (12.59) bzw. (12.60)
Bedingungen für kanonische Transformationen in Poisson-Klammern ausdrücken:
Schreibt man nämlich Gl. (12.68) für die neuen Variablen an und setzt man
(12.65) ein, gibt dies
Zum Beispiel ist die Transformation (vgl. (12.41))
kanonisch, wenn und zueinander kanonisch konjugiert sind.
Die Poissonklammern (12.70) für bzw.
allein sind trivialerweise erfüllt, da ; für die letzte gilt
Auch die totale Zeitableitung einer beliebigen Größe
läßt sich
durch Poissonklammern ausdrücken. Dabei wird zuerst die Kettenregel angewendet; danach
werden die kanonischen Bewegungsgleichungen eingesetzt.
Ist Erhaltungsgröße dann muß deren totale Zeitableitung Null sein.
Hängt nicht explizit von der Zeit ab, dann gilt für solch eine Erhaltungsgröße :
Die Hamiltonschen Gleichungen lauten in dieser Schreibweise:
|
(1273) |
Neben den Lagrange- und Poissonklammern, Gln. (12.58) und (12.67), die
Differentialinvarianten kanonischer Transformationen sind, gibt es auch
Integralinvarianten. Unter diesen betrachten wir nur eine, das
Volumen des Phasenraumes. Das Gebiet des Phasenraumes gehe
bei einer kanonischen Transformation in das Gebiet über. Der
Satz von Liouville behauptet, daß die Volumina bzw
dieser Gebiete gleich sind. Z.B stellt man sich vor, daß die
Phasenpunkte eines Systems von Teilchen ohne Wechselwirkung das Gebiet erfüllen.
Bei der zeitlichen Entwicklung sind diese in das Gebiet gewandert (auch der
zeitliche Ablauf eines Systems kann durch eine kanonische Transformation
beschrieben werden):
|
(1274) |
Nach dem Satz von Liouville kann dabei das von den Darstellungspunkten erfüllte
Volumen seine Gestalt, nicht aber seinen Volumsinhalt ändern;
''Die Flüssigkeit der Phasenpunkte ist inkompressibel''.
Dieser Satz bildet die Grundlage der Statistischen Mechanik.
Die Inhalte der Gebiete G und G' sind:
Der Satz von Liouville ist bewiesen, wenn gezeigt worden ist, daß die Jacobische
Funktionaldeterminante:
det |
(1276) |
den Wert 1 hat. Jeder Eintrag in der obigen Determinate representiert eine
quadratische Untermatrix
aus Zeilen und Spalten, da und unabhängig voneinander von
1 bis laufen.
Diese Matrix wird nun durch Kombinationen von Zeilen derart umgeformt, daß
der
Block
in der linken unteren Ecke zur Nullmatrix wird. Es wird angenommen, daß die
kanonische Transformation,
die die Variablensätze ,
, , verbindet,
von einer Funktion
erzeugt wird.
|
(1277) |
Die Funktionaldeterminante (12.76) wird umgeformt, indem die ersten
Zeilen
jeweils mit
multipliziert und zur
-ten Zeile addiert werden (es gilt das Summationsübereinkommen):
Die oben benützten Relationen folgen aus (12.77):
I
Für die Relationen II wird als Funktion der und betrachtet:
Wir suchen eine kanonische Transformation
|
(1279) |
derart, daß die neue Hamiltonfunktion
|
(1280) |
Null ist. Dann ist das mechanische Problem vollständig gelöst:
const. |
|
|
(1281) |
const. |
|
|
(1282) |
Die und sind ein vollständiger Satz von Integralen der Bewegung.
Die zur Transformation (12.79) gehörige erzeugende Funktion
|
(1283) |
heißt die Wirkungsfunktion. Setzt man für aus (12.83)
in die Forderung (12.80) ein, ergibt sich die
Hamilton-Jacobische Differentialgleichung
|
(1284) |
zur Bestimmung der Wirkungsfunktion.
Zum Beispiel für ein konservatives System mit Potential sind Hamiltonfunktion
und Hamilton-Jacobische Differentialgleichung
Die Hamilton-Jacobische Differentialgleichung ist eine partielle Differentialgleichung
für die Variablen und . Die sind gemäß
Gl. (12.81) Konstante.
Die Differentialgleichung ist nicht linear und es ist daher aussichtslos, eine
allgemeine Lösung (die von willkürlichen Funktionen abhängt) aufsuchen zu
wollen. Doch wird eine solche gar nicht benötigt. Es genügt ein
vollständiges Integral, dies ist eine Funktion, die von allen ,
von und zusätzlich noch von f willkürlichen Integrationskonstanten
abhängt, die Differentialgleichung befriedigt und noch der
folgenden Bedingung genügt:
Außer den genannten Bedingungen ist das vollständige Integral beliebig. Nach
dem Satz von Jacobi erhält man damit die Lösung der ursprünglichen
Bewegungsgleichungen
indem man die willkürlichen Konstanten mit den konstanten
identifiziert, für die konstanten ebenfalls willkürliche Integrationskonstanten
festlegt und gemäß Gl. (12.83) setzt
Aus Gl. (12.89) berechnet man
.
Diese in Gl. (12.88) eingesetzt, ergeben
.
Zum Beweis des Jacobischen
Satzes zeigen wir, daß diese Lösungen tatsächlich Gln. (12.86)
und (12.87) erfüllen.
Differenzieren wir Gl. (12.89) nach und Gl. (12.85)
nach den .
Wegen (12.85) folgt daraus, daß Gln. (12.87) erfüllt sind.
Differenziert man Gl. (12.88) nach und (12.85) nach den ,
bekommt man die nachfolgenden Gleichungen, aus denen Gln. (12.86) folgen.
Die physikalische Deutung der Wirkungsfunktion findet man, indem man
Gl. (12.88) und (12.85) in die folgende Zeitableitung einsetzt:
const. |
(1290) |
Die Wirkungsfunktion ist das Zeitintegral über die Lagrangefunktion.
Daher kann das Hamiltonsche Prinzip, Gl. (12.2), geschrieben werden als:
|
(1291) |
Indem man vom gegebenen Anfangspunkt
zum gegebenen Endpunkt
längs der eindeutig durch die beiden Punkte bestimmten Extremalen integriert,
so gilt für diese Wirkungsfunktion auch Eikonal oder
geodätischer Abstand
der beiden Punkte genannt, die Differentialgleichung (12.84), wobei als Funktion
der Koordinaten des Endpunktes aufgefasst wird. Daraus ergibt sich
auch, daß die Flächen
const. geodätisch äquidistant sind, d.h., daß,
wenn man das Integral
längs einer zu den Flächen
const. transversalen Extremale von
(12.91) integriert (es wird in dieser Theorie gezeigt, daß gerade
die Flächen
const. Transversalflächen zu
einer Extremalenschar von (12.91) sind), erhält man für das zwischen zwei
Flächen erstreckte Integral unabhängig von der einzelnen Extremale denselben
Wert.
beschreibt eine den für die Bewegung in Frage kommenden Phasenraum
schlicht überdeckende Schar von Transversalflächen für die Extremalen von
(12.91), also für die möglichen Bahnkurven, vgl. Abbn. 12.7 und 12.8.
Allerdings werden durch eine einzige Flächenschar mit dem Parameter nicht
alle möglichen Bahnkurven erfaßt, denn zu dem vollständigen Integral von (12.85)
gehört eine durch (12.89) implizit bestimmte 2-parametrige Schar von Bahnkurven.
Vor allem sieht man daraus auch sofort, daß die Funktion nicht eine bestimmte
Bewegung festlegen kann, denn diese wird durch die 2 Parameter
bestimmt, während nur von Parametern abhängt.
Es gehört also zu dem
vollständigen Integral noch eine f-fache Mannigfaltigkeit von Transversalflächen.
Leider gibt es kein allgemein verwendbares Verfahren zum Auffinden eines
vollständigen Integrals einer nichtlinearen partiellen Differentialgleichung;
man muß ein solches durch Probieren zu erraten suchen. Wenn die Lösung der
zugehörigen Newtonschen Bewegungsgleichung bekannt ist, gibt diese über
Gl. (12.88)
einen Hinweis über das Aussehen der Wirkungsfunktion
Als Beispiel zur Hamilton-Jacobischen Differentialgleichung wird zunächst der
Harmonische Oszillator betrachtet:
|
(1292) |
Da der zweite und dritte Term der obigen Gleichungen die Zeit nicht explizit
enthalten, schließt man durch Vergleich der ersten Terme auf
und
und setzt
|
(1293) |
Für die noch unbestimmte Funktion W(q) ergibt sich eine gewöhnliche
Differentialgleichung
|
|
|
|
|
|
|
(1294) |
Zusammenfassung der beiden vorhergehenden Gleichungen gibt die Lösung für
die Wirkungsfunktion . Die eine willkürliche Konstante ist hier die
Gesamtenergie . Der neue (konstante) Impuls muß von
ihr abhängen. Wie sich in §12.7
zeigen wird, ist es zweckmäßig,
zu setzen. Man verifiziert leicht, daß die neue Hamiltonfunktion
K Null ist:
Die Bewegung wird gemäß Gln. (12.88) und (12.89) beschrieben durch
Man sieht, ist die Phasenkonstante des Oszillators.
Als zweites Beispiel betrachten wir die Bewegung eines Teilchens in einem
räumlich homogenen, zeitlich linear anwachsenden Feld; die Newtonsche
Bewegungsgleichung und ihre Lösung sind
Die letzte Gleichung (vgl. (12.88)) legt folgenden Ansatz nahe:
|
(1298) |
Dieser wird in die Hamilton-Jacobische Differentialgleichung (12.85)
eingesetzt und gibt
Die Bewegung berechnet man aus gemäß (12.88), (12.97) und (12.89) :
Die Konstanten , können mit Anfangsimpuls und -lage identifiziert
werden.
Bei einer gewöhnlichen Differentialgleichung 1. bzw. 2. Ordnung, z.B.
bzw.
besteht das System der Lösungen aus ein () bzw. zwei (
)
Fundamentallösungen. Die Gestalt der Funktionsoperatoren wird durch die
Differentialgleichung festgelegt. Die allgemeine Lösung hat dann die Form:
bzw.
Die zunächst willkürlichen Konstanten werden durch die Anfangs-,
eventuell Randbedingungen, festgelegt.
Als Beispiel einer partiellen Differentialgleichung wird zunächst die
Wellengleichung betrachtet:
(a)
Die d'Alembertsche Lösungsmethode führt auf folgende Gestalt der allgemeinen Lösung:
Die Funktionsoperatoren in (b) sind vollständig willkürlich; sie müssen nur zweimal
differenzierbar sein. Man überzeugt sich leicht durch Einsetzen von (b) in (a), daß
(b) eine Lösung ist, ganz gleich wie die beschaffen sind. Die partielle
Differentiagleichung legt also nur fest, von welchen Kombinationen der unabhängigen
Variablen die Lösungen abhängen müssen; in obigem Beispiel sind das die in (c)
angegebenen Funktionen und . Eine partielle Differentialgleichung
läßt also den Lösungen unendlich mehr Freiheit als eine gewöhnliche.
Erst die Anfangsbedingungen längs einer Kurve legen die Funktionsoperatoren
fest.
Beispiele solcher Funktionen sind in Abb. 12.6 dargestellt.
Abbildung:
Beispiele von Lösungen der Wellengleichung: a) Ein Puls mit unendlich steilen Flanken.
b) Ein Puls mit glatten Flanken. c) Ein Puls einer harmonischen Schwingung.
|
Die Differentiagleichung (a) besagt nur, daß sich eine Störung mit der Geschwindigkeit
längs der -Achse, (z.B. längs eines Drahtes oder einer Saite) ausbreitet. Die Gestalt
des Signals hängt von der Anregung am Anfang ab. Ein Puls mit unendlich steilen Flanken ist
zwar dort nicht differenzierbar, im übrigen ist er ein Lösung.
Die charakteristischen Lösungen (wie im Beispiel (c)) werden durch die charakteristischen
Gleichungen der partiellen Differentialgleichung festgelegt; diese sind ein System von
gewöhnlichen Differentialgeichungen. Bei der Hamilton-Jacobischen Differentialgleichung
sind dies die Hamiltonschen Bewegungsgleichungen.
Bei einer nichtlinearen partiellen Differentialgleichung ist es sehr schwierig, oft sogar
unmöglich, die allgemeine Lösung anzugeben. Für die Anwendung in der Hamilton-Jacobischen
Integrationstheorie wird aber eine solche gar nicht benötigt. Sondern es genügt ein
vollständiges Integral. Ein solches ist eine gegebene Funktion der Variablen
, die auch noch von Integrationkonstanten abhängt
und die partielle Differentialgleichung erfüllt.
Meist wird zum Auffinden eines solchen vollständigen Integrals die Methode der Separation
der Variablen (§12.8) herangezogen, wenn diese anwendbar ist.
Die Hamilton-Jacobische Differentialgleichung für die verkürzte
Wirkungsfunktion
Wenn die Lagrangefunktion, damit auch die Hamiltonfunktion, nicht explizit von
der Zeit abhängen, ist die Hamiltonfunktion zeitlich konstant
const. |
(12100) |
Dann kann man folgenden Ansatz für die Wirkungsfunktion machen
|
(12101) |
und die Hamilton-Jacobische Differentialgleichung (12.85) wird
const. |
(12102) |
heißt die verkürzte Wirkungsfunktion oder Hamiltonsche
charakteristische Funktion. Auch hier genügt für unsere Zwecke ein vollständiges
Integral,
|
(12103) |
das außer von noch von weiteren willkürlichen Integrationskonstanten
in nichttrivialer Weise abhängt.
Meist ist die Hamiltonfunktion gleich der Gesamtenergie , so daß nach (12.102)
gilt;
|
(12104) |
Dann wird aus der Wirkungsfunktion (12.101) und der
Hamilton-Jacobi-Gleichung (12.102):
Die letzte Gleichung läßt sich auch in folgender Form schreiben:
grad |
(12106) |
Der zeitunabhängige Anteil der Wirkungsfunktion kann auch als eine
selbständige Erzeugende einer kanonischen Transformation im engeren Sinn,
Gln. (12.52) und (12.53) betrachtet werden:
|
|
|
(12107) |
|
|
|
(12108) |
|
|
const. |
(12109) |
|
|
const. |
(12110) |
Wir fordern, daß die durch erzeugte kanonische Transformation eine neue
Hamiltonfunktion liefert, die in allen neuen Koordinaten zyklisch ist. Dann
sind alle neuen Impulse zeitlich konstant; deswegen sind auch die neue
Hamiltonfunktion und deren partielle Ableitungen zeitlich konstant.
, sind willkürliche Integrationskonstanten, die durch die
Anfangsbedingungen festgelegt werden. Aus
= const. folgt
durch Einsetzen von
wieder die Hamilton-Jacobische
Differentialgleichung (12.102) für die verkürzte Wirkungsfunktion; womit gezeigt ist,
daß diese Differentialgleichung die Erzeugende der gewünschten kanonischen
Transformation bestimmt.
Wird nun wieder die Gesamtenergie mit einer der willkürlichen
Integrationskonstanten, z.B. mit
identifiziert,
dann gilt (vgl. Gl. (12.105))
Die physikalische Bedeutung der verkürzten Wirkungsfunktion ersieht man aus
der folgenden Zeitableitung (wobei Gl. (12.102) benützt wird):
Die letzte Gleichsetzung gilt aber nur, wenn in der Lagrange- oder
Hamiltonfunktion keine geschwindigkeitsabhängigen Potentiale auftreten und
eine quadratische Form der ist (vgl. §
12.1.1 und §12.1.2).
Dann ist die Wirkungsfunktion proportional dem Integral über die kinetische Energie.
Um die Bedeutung von und deutlich zu machen, wird Gl. (12.102) noch genauer
untersucht. Die Flächen = const. bilden im
der eine raumfeste
Flächenschar. Zur Zeit = 0 fallen sie mit den Flächen = const. zusammen;
im Laufe der Zeit wandern die Flächen = const. über die Flächen
= const. hinweg. Wegen (12.88) bzw. (12.102) gilt, daß der Vektor
senkrecht zu den Flächen = const. steht, in diesem Falle also auch senkrecht
auf den Flächen = const. steht. Wenn man der Einfachheit halber die Bewegung
eines Teilchens in kartesischen Koordinaten betrachtet, so fällt der
kanonische Impuls mit dem gewöhnlichen zusammen und die Bahnkurven durchsetzen
die Flächen = const. senkrecht. Orthogonalität und Transversalität fallen
zusammen. Die Flächen konstanter Wirkung wandern durch den Raum; dies bedeutet
eine Ähnlichkeit mit der Optik, wo die Wellenflächen ebenfalls durch den Raum
wandern und die Lichtstrahlen orthogonale Trajektorien sind (s. Abbn.
12.7 und 12.8).
Abbildung:
Der schräge Wurf im Schwerefeld. Die strichlierten Kurven geben
Wurfparablen zum gleichen Wert der Gesamtenergie und des transversalen
Impulses const. Die ausgezogenen Kurven entsprechen den Flächen
= const. Die Flächen, hier Kurven = const. haben die gleiche Gestalt;
sie streichen aber im Laufe der Zeit über die Kurven = const. hinweg.
|
Abbildung:
Die strichlierten Kurve ist eine Wurfparabel; die Punkte geben
die Lagen des Massenpunktes für gleiche Zeitintervalle. Die Kurven durch
die Punkte geben die Kurven = const. Eine Simulation des Vorganges findet
sich im Notebook: K12WPlot.nb.
|
Separable Systeme. Mehrfach periodische Bewegung
In §12.7 wurde ein vollständiges
Integral der Hamilton-Jacobischen
Differentialgleichung für gewisse eindimensionale Probleme durch Raten gefunden.
Diese Vorgangsweise wird umso schwieriger, je größer die Zahl der Variablen,
d.h. je größer der Freiheitsgrad ist. Ein in gewissen Fällen verwendbares
Verfahren zum Auffinden eines vollständigen Integrales der Hamilton-Jacobischen
Differentialgleichung (12.102
const. |
(12112) |
ist Separation. Es wird angenommen, daß das vollständige Integral die
folgende Form hat:
|
(12113) |
darf nur von der einzigen Variablen abhängen. Wenn es gelingt, durch
einen derartigen Ansatz die partielle Differentialgleichung (12.112)
in f gewöhnliche Differentialgleichungen der Form
|
(12114) |
aufzuspalten, dann heißt das betreffende System separabel. Die Separierbarkeit
der Differentialgleichung (12.112) hängt vom physikalischen System (also von der
Hamiltonfunktion) und von der Wahl der (krummlinigen) Kooridnaten ab. Z.B. ist
die Hamilton-Jacobi-Gleichung für ein konservatives System mit sphärischem
Potential in Kugelkoordinaten separabel, im allgem. aber nicht in anderen, z.B.
in Kartesischen. Ein System heißt separabel, wenn es irgendwelche Koordinaten
gibt, in denen die eben beschriebene Separation der Hamilton-Jacobi-Gleichung
möglich ist.
Dann können die Gln. (12.114) nach der einzigen auftretenden Ableitung aufgelöst
und integriert werden.
Insbesondere ist ein System separabel, wenn alle Variablen bis auf eine,
z.B. , zyklisch sind:
Die Anteile
für die Variablen
der verkürzten
Wirkungsfunktion sind damit bekannt; für den Summanden der nichtzyklischen
Variablen erhält man eine gewöhnliche Differentialgleichung erster Ordnung,
nach deren Integration die gesamte verkürzte Wirkungsfunktion gefunden ist:
|
|
|
|
|
(12117) |
Ein Beispiel für diesen Fall ist das ebene Zentralkraftproblem, in dem die Variable
zyklisch ist.
|
(12118) |
Die verkürzte Wirkungsfunktion ist:
|
(12119) |
Der zu gehörige Anteil genügt der Differentialgleichung
Wir werden die Integration nicht ausführen, sondern schreiben nur
|
(12120) |
Damit findet man gemäß Gl. (12.107) das Endresultat
Die erste Gleichung gibt die Zeit als Funktion des Radius , nach der Inversion den
Radius als Funktion der Zeit. Die zweite Gleichung gibt
. Beide
Lösungen hängen von den Integrationskonstanten ,
, und ab.
Periodische und mehrfach periodische Bewegung. Wirkungs- und
Winkelvariable.
Zuerst betrachten wir die Bewegung eines konservativen Systems mit einem
Freiheitsgrad, = 1. Der Zustand wird durch das Paar kanonisch konjugierter
Variablen und beschrieben. Ein System heißt periodisch, wenn es
nach einer endlichen Zeitdauer wieder im gleichen Zustand ist.
Diese allgemeine Bedingung folgt bereits aus dem Fall mit n = 1:
|
(12122) |
Denn jeder andere Wert von n kann durch fortgesetzte Anwendung von
(12.122) erreicht werden. Bei einer periodischen Bewegung ist die
Bewegung auf einen endlichen Bereich im Ortsraum beschränkt. Doch müssen
die Variablen, die die Bewegung beschreiben, nicht endlich bleiben. Aus der
Theorie des mathematischen Pendels, §12.2.2, Abb. 12.2, kann man dies
ersehen. Bei rotiert das Pendel, die Koordinaten , sind zwar
endlich, , ; jedoch der Winkel wächst
von bis (oder umgekehrt). Abgesehen von der
Limitationsbewegung, sind zwei Fälle möglich: Libration bzw. Nutation. Bei
Libration gehorchen beide Variablen und den Bedingungen
(12.122); bei Nutation weist eine Periode auf. Zieht man
diese heraus, so erfüllt der Rest von und wieder (12.122),
s. Abb. 12.9.
Abbildung 12.9:
a) Libration (Oszillation) b) Nutation (Rotation)
[]
[]
|
Für ein konservatives System, das den Periodizitätsbedingungen (12.122) genügt,
wird nun ein vollständiges Integral der Hamilton-Jacobischen
Differentialgleichung (12.102) aufgesucht. Dies liefert die
erzeugende Funktion , Gl. (12.103), einer kanonischen
Transformation
derart, daß für die neuen Variablen und gilt:
Durch diese Vorgangsweise sind und noch nicht völlig eindeutig bestimmt.
Es gibt ein kanonisch konjugiertes Variablenpaar, das besonders zweckmäßig
ist, die Wirkungsvariablen J und die Winkelvariable
w. Letztere ist so normiert, daß die Periodizitätsbedingungen lauten
|
(12125) |
die Periode also den Wert 1 hat. Z.B. beim Harmonischen Oszillator,
Gl. (12.95) und (12.96), kann man setzen:
Für und lauten die kanonischen Gleichungen (12.107):
Bei Zutreffen der Bedingung (12.125) kann man die Grundfrequenz des
Systems sofort aus der neuen Hamiltonfunktion bestimmen
|
(12127) |
In Fällen, wo man sich nur für die Grundfrequenz des Systems, nicht so sehr
für Details der Bewegung interessiert, ist dieses Verfahren sehr bequem.
Beweis der Gl. (12.127): Die periodische Form aus
(12.125) läßt sich in eine Fourierreihe entwickeln:
|
(12128) |
Andererseits kann man eine periodische Funktion mit der Grundfrequenz
in folgende Fourierreihe entwickeln:
|
(12129) |
Vergleich von (12.128) mit (12.129) gibt unter Beachtung
von (12.126):
Oben ist die Wirkungsvariable als die zur zyklischen, auf die Periode 1
normierten Winkelvariable kanonisch konjugierte Variable definiert
worden. Eine für die praktische Berechnung bequemere Definition ist die
durch das
Phasenintegral:
|
(12130) |
Darin erstreckt sich das Integral über eine vollständige Periode des Systems.
Die Äquivalenz dieser Definition des Paares , mit der vorhergehenden wird
bewiesen, indem gezeigt wird, daß w um 1 zunimmt, wenn das System eine volle
Periode durchläuft. Aus der erzeugenden Funktion
folgt:
Betrachtet man gemäß (12.131) als Funktion von und ,
gilt für das Differential:
Da gemäß Gl. (12.126)
const. ist, gilt für jede Phasenbahn
. Danach wird noch Gl. (12.131b) eingesetzt. Die totale
Änderung von für den Umlauf des Systems um eine Periode ist
1, wenn für das Phasenintegral (12.130) eingesetzt wird:
Zum Schluß das Ganze als einfaches Rezept zusammengefaßt:
Aus der Hamiltonfunktion berechnet man den Impuls als Funktion von und ;
damit das Phasenintegral als Funktion von . Inversion gibt als Funktion
von , damit die neue Hamiltonfunktion . Die Grundfrequenz ist
die Ableitung von nach .
z.B. beim Harmonischen Oszillator ist die Hamiltonfunktion
Das Phasenintegral entspricht der Fläche, die von der zum Wert gehörigen
elliptischen Phasenbahn (Abb. 12.1) eingeschlossen wird.
Ein System von mehreren Freiheitsgraden, 1, ist im allgemeinen nicht
periodisch, selbst wenn jedes der kanonisch konjugierten Paare für sich
periodisch ist:
Z.B. Für einen zweidimensionalen Harmonischen Oszillator, der in der
x-Richtung die Frequenz , in der y-Richtung die Frequenz
aufweist, lautet eine partikuläre Lösung:
Ist das Verhältnis : eine rationale Zahl
(`` und sind kommensurabel''), dann gibt es eine
Superperiode , nach der das System wieder seinen Ausgangszustand
erreicht. Die Bahn ist eine LISSAJOUS-Kurve (Abb. 4.12(a)). Sind
und (damit auch und ) inkommensurabel, dann
nimmt ein System einen einmal durchlaufenen Zustand nie wieder an. Im
Ortsraum füllt die Bahn das Rechteck
,
allmählich vollständig aus, (Abb. 4.12(b)); ebenso wird im Phasenraum
ein Parallelelepiped von der Phasenbahn vollständig erfüllt.
Ganz allgemein ist bei mehreren Freiheitsgraden eine Bewegung nur dann
periodisch, wenn die Perioden , ,..., der einzelnen
Bewegungsrichtungen paarweise kommensurabel sind. Ist diese Bedingung nicht
erfüllt, dann kehrt das System nie zu irgendeinem in der Vergangenheit
angenommenen Zustand zurück, obwohl es in jedem Variablenpaar ,
für sich periodisch ist. Ein solches System heißt mehrfach periodisch oder
fastperiodisch. Wieder können die Koordinaten in eine -fache
Fourierreihe entwickelt werden (
)
|
(12134) |
Ist das System separabel, dann kann man ein vollständiges Integral
der Hamilton-Jacobischen Differentialgleichung (12.102) finden; dieses ist die
Erzeugende einer kanonischen Transformation, die das System ,
in ein zyklisches (,) überführt. Wir normieren alle
wieder auf Periode 1, so daß wir einen Satz von Winkelvariablen
und Wirkungsvariablen erhalten
Die letzte Gleichung impliziert wieder:
|
|
|
|
|
(12135) |
Wieder folgt aus dem Vergleich von (12.134) mit (12.136)
unter Beachtung von (12.135), daß die Grundfrequenzen des Systems
aus der Hamiltonfunktion berechnet werden können:
|
(12136) |
Die Wirkungsvariablen können auch durch das Phasenintegral
|
(12137) |
definiert werden. Das Integral ist über eine volle Periode der Variablen
zu erstrecken. Wir zeigen, daß die zugehörige Winkelvariable
einen Zuwachs von 1 erfährt, wenn eine Periode durchläuft; während
sich nicht ändert, wenn
eine volle Periode durchläuft.
Einer Änderung von (bei fixen , ) entspricht folgendes
Inkrement von
|
(12138) |
Für eine volle Periode beträgt die Änderung von
mit
Das Zentral- und das Keplerproblem
Als Anwendung der in §12.8
entwickelten Theorie wird die Lösung des Zentralkraft- und des Keplerproblems
durch Separation der zugehörigen Hamilton-Jacobischen Differentialgleichung
für die verkürzte Wirkungsfunktion vorgeführt. In Kugelkoordinaten lautet
diese:
|
(12139) |
Wir machen den Separationsansatz:
und schreiben damit Gl. (12.140) um
const. |
(12141) |
Die linke Seite dieser Gleichung hängt nur von und von ab,
die rechte nur von . Die beiden Seiten können nur identisch sein,
wenn jede gleich einer (noch unbestimmten) Konstanten ist, die
genannt wird. Die Differentialgleichung für kann
sofort gelöst werden
|
(12142) |
Die linke Seite von Gl. (12.142) wird wieder in zwei Teile gespalten
const. |
(12143) |
die linke (rechte) Seite hängt nur von
ab; jede muß für
sich gleich einer Konstanten sein
Die Separation ist damit vollständig durchgeführt. Das obige Integral
(12.145) könnte elementar als unbestimmtes Integral ausgeführt
werden; ebenso (12.145) für das Coulomb- () oder
Oszillatorpotential (
). Dies ist langwierig. Darum
beschränken wir uns hier auf die Phasenintegrale, die als
bestimmte Integrale mit komplexen Methoden berechnet werden können. Hier
geben wir nur die Resultate an.
Sobald das letzte Integral ausgeführt worden ist, kann der resultierende
Ausdruck nach der Gesamtenergie aufgelöst werden. Damit erhalten wir
diese und damit die Hamiltonfunktion als Funktion der Wirkungsvariablen:
Für die Frequenzen des Systems folgt gemäß Formel (12.137)
Die Gleichheit
ergibt sich, weil der Integrand von (12.147c) nur
von der Summe
abhängt. Das System hat daher
höchstens zwei verschiedene Eigenfrequenzen und
, es ist entartet. Diese
Entartung hängt zusammen mit der Ebenheit der Bahn im Zentralfeld.
Die Auswertung von (12.147c) für ein Coulombpotential ergibt:
Auflösen nach gibt:
|
(12147) |
Für das Coulomb- oder Newtonpotential hängt die neue Hamiltonfunktion nur
von der Summe
ab, daher ist
. Es gibt nur eine einzige Eigenfrequenz
des Systems (zweifache Entartung).
Obige Resultate werden benützt für die Quantisierung mittels der
BOHR-SOMMERFELDSCHEN Phasenintegralmethode:
Die Quantenzahlen ,
,
werden
zusammengefaßt zur Hauptquantenzahl
Damit ergibt sich für die Energieeigenwerte des Einelektronenproblems:
Es ist eine bekannte Schwierigkeit der BOHR-SOMMERFELDSCHEN Theorie, daß
nicht aus ersten Prinzipien angegeben werden kann, welche Wertemengen für die
Quantenzahlen ,
,
zugelassen werden,
sondern daß dies aus den experimentellen Daten erschlossen werden muß.
Diese Schwierigkeit fällt in der Quantenmechanik fort.
Wer nähere Details zur Berechnung der Phasenintegrale (12.147) erfahren
möchte, kann sich direkt an den Vortragenden (B. S.) wenden.
Christian Sommer
2003-01-27