Unterabschnitte

Bewegte Bezugssysteme

Die Newtonsche Bewegungsgleichung (3.1) gilt nur in Inertialsystemen. Untersucht man einen Bewegungsvorgang in einem System, das kein Inertialsystem ist, dann muß man Zusatzeffekte berücksichtigen, die von der beschleunigten Bewegung des Systems und der Trägheit der Massen herrühren. In den Bewegungsgleichungen treten dann neben den eingeprägten Kräften noch die Trägheitskräfte auf.


Inertialsysteme

Ein System heißt Inertialsystem, wenn in ihm ein Körper keine Beschleunigung erfährt, wenn keine äußeren Kräfte auf ihn wirken:

$\displaystyle m  \ddot{\vec{r}}  =  0$   wenn$\displaystyle \quad \vec{F}  =  0.$ (81)

Wir betrachten die Menge der Inertialsysteme. Das erste sei das von Gl. (8.1). Ein zweites sei:

$\displaystyle m  \ddot{\vec{r}}{ '}  =  \vec{F}{'}  =  0.$ (82)

Aus (8.1) und (8.2) folgt, daß die Beschleunigungen gleich sein müssen. Zweimalige Integration dieser Gleichung gibt:
$\displaystyle \ddot{\vec{r}}  =  \ddot{\vec{r}}{ '}  =  0: \quad
\dot{\vec{r}}  $ $\displaystyle =$ $\displaystyle  \dot{\vec{r}}{ '}  +  {\vec{v}_0} ,$  
$\displaystyle {\vec{r}}  $ $\displaystyle =$ $\displaystyle  {\vec{r}}{ '}  +  {\vec{v}_0}  t  +  {\vec{r}_0} .$ (83)

Die letzte Beziehung besagt, daß es eine 6-parametrige Menge von Inertialsystemen gibt. Jedes Element ist durch ein spezielles Wertesextupel der Integrationskonstanten $ \vec{v}_0$ und $ \vec{r}_0$ gekennzeichnet. Die Erfahrung zeigt, daß es solche Koordinatensysteme tatsächlich gibt: Systeme, die relativ zum Fixsternhimmel in gleichförmiger Bewegung sind, sind in guter Näherung Inertialsysteme.

Raumfestes und körperfestes Bezugssystem

Abbildung: Raumfestes System $ S$ und körperfestes System $ S'$.
\includegraphics[scale=0.9]{k8_raum_koerperfest_sys}
Abbildung: a) Der Winkel $ \alpha _{ij'} $ zwischen dem raumfesten Einheitsvektor $ \vec{e}^{ i} $ und dem körperfesten Einheitsvektor $ \vec{e}^{ 'j} $. b) Das gestrichene System Koordinatensystem ist gegen das ungestrichene um den Winkel $ \Phi $ verdreht.
[] \includegraphics[scale=0.8]{k8_vec_drehung} [] \includegraphics[scale=0.84]{k8_koordsys_drehung}
Wir betrachten zwei rechtshändige Koordinatensysteme (Abb. 8.1). Das erste System, $ S$, mit den orthonormierten Basisvektoren $ \vec{e}^{ 1},\vec{e}^{ 2},\vec{e}^{ 3} $ heißt raumfestes System; es ist ein Inertialsystem. Das zweite System, $ S'$, ist ebenfalls ein rechtshändiges mit den orthonormierten Basisvektoren $ \vec{e}^{ '1},\vec{e}^{ '2},\vec{e}^{ '3} $ ; es heißt körperfestes System. Es wird später ein bewegtes, sogar beschleunigtes System sein; zunächst wird es ebenfalls als fix betrachtet. Der Vektor $ \vec{a}$ weist vom Ursprung $ O$ des Systems $ S$ zum Ursprung $ O'$ von $ S'$. Zu ein- und demselben Raumpunkt $ P$ weist von $ O$ der Vektor $ \vec{r} $ (mit Komponenten $ x_i$ bezüglich $ S$) und von $ O'$ der Vektor $ \vec{r}{ '}$ (mit Komponenten $ x_i'$ bezüglich $ S'$) :

$\displaystyle {\vec{r}}  =  {\vec{a}}  +  {\vec{r}}{ '}  $ (84)

In $ S$ lauten die Komponenten dieser Vektorgleichung:
$\displaystyle x_i$ $\displaystyle =$ $\displaystyle  a_i  +  \vec{e}^{ 'j}  x_j'  ,$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle  a_i  +  a_{ij'}  x_j'  .$ (85)

Die $ 3 \times 3 $ Matrix

$\displaystyle A  =  ( a_{ij} )  :=  ( \vec{e}^{ '1},\vec{e}^{ '2},\vec{e}^{ '3} )$   mit$\displaystyle \quad \vec{e}^{ 'j}_i  =  \cos \alpha_{ij}$ (86)

ist aus den Komponenten gebildet, die die Basisvektoren $ \vec{e}^{ 'j} $ des Systems $ S'$ bezüglich $ S$ haben; sie werden durch Normalprojektion der Einheitsvektoren $ \vec{e}^{ 'j} $ auf die Koordinatenachsen von $ S$ gebildet und sind gleich den Richtungskosinussen, Abb. 8.2(a). Der Winkel $ \alpha_{ij}$ liegt in der Ebene, die von den beiden eben genannten Vektoren aufgespannt wird. Die Drehmatrix $ ( a_{ij} ) $ ist reell und orthogonal:

$\displaystyle A \tilde{A}  =  E: \quad a_{ij}  a_{kj}  =  \delta_{ik} ; \;\; $   (a)$\displaystyle \qquad\quad \tilde{A} A  =  E: \quad a_{ji}  a_{jk}  =  \delta_{ik} . \;\; $   (b) (87)

Für den Spezialfall, daß die Ursprünge der beiden Systeme zusammenfallen und das gestrichene System $ S'$ gegenüber dem ungestrichenen $ S$ um den Winkel $ \Phi $ verdreht ist, ergibt sich (Abb. 8.2(b)):

$\displaystyle A  =  \left( \begin{array}{ccc} \cos \Phi & - \sin \Phi & 0  [1mm] \sin \Phi & \cos \Phi & 0  [1mm] 0 & 0 & 1 \end{array} \right) .$ (88)

Echte Vektoren können parallel zu sich selbst im Raum verschoben werden. Sie lassen sich als Differenzen von Ortsvektoren darstellen. Gemäß dieser Definition ergibt sich aus (8.5) für echte Vektoren das folgende Transformationsgesetz

$\displaystyle c_i  =  x_i  -  y_i : \qquad c_i  =  a_{ij} c_j'.$ (89)


Die Eulerschen Winkel

Abbildung 8.3: Die Eulerschen Winkel.
\includegraphics[scale=0.8]{k8_eulerwinkel}

Wenn zwei rechtshändige Koordinatensystem irgendwie zueinander stehen, kann man das eine in das andere durch zwei Operationen überführen: 1) durch eine Translation um einen Vektor $ \vec{a}$ schiebt man den einen Ursprung in den anderen; 2) durch eine Drehung bringt man entsprechende Koordinatenachsen zur Deckung. Diese Drehung kann auf mehrere Weisen festgelegt werden. Hier werden nur zwei behandelt: a) die Angabe eines Drehvektors: b) durch drei Winkel, die Eulerschen Winkel.

Wir beschränken uns nun auf die Drehungen, setzen also bis auf weiteres den Vektor $ \vec{a}$ in Gl. (8.5) Null. Eine Drehung kann durch die Angabe eines Einheitsvektors $ e_i$ für die Drehachse und eines Drehwinkels $ \Phi $ festgelegt werden. Dann kann man die Komponenten der Basisvektoren des gedrehten Systems $ S$ mittels des Drehtensors berechnen:

$\displaystyle D_{ij}(\vec{e},\Phi)  $ $\displaystyle =$ $\displaystyle  e_i  e_j  +  (\delta_{ij}  -  e_i  e_j) \cos\Phi  - \
\varepsilon_{ijs}  e_s  \sin\Phi ;$ (810)
$\displaystyle e_i^{'k}  $ $\displaystyle =$ $\displaystyle  D_{ij}(\vec{e},\Phi)  e_j^{k}.$ (811)

Diese Darstellung hat den Nachteil, daß die 4 Parameter $ e_1 , e_2 , e_3 $ und $ \Phi $ einer Nebenbedingung unterworfen sind ( $ e_i e_i = 1$).

Es ist zweckmäßiger, ein System von 3 Winkeln zu verwenden, die voneinander unabhängig sind. Ein solches sind eben die Eulerschen Winkel. Diese geben die Lage des körperfesten Systems $ S'$ relativ zu raumfesten $ S$ an. Letzteres wird in seine in Abb. 8.3 angegebene Endlage in 3 Schritten übergeführt: Zuerst wird das gestrichene System um die 3-Achse (die 3'-Achse fällt während dieses Schrittes noch mit der 3-Achse zusammen) um den Winkel $ \varphi$ in positivem Sinn gedreht. Die neue Lage der 1'-Achse heißt die Knotenlinie. Im zweiten Schritt wird das körperfeste System um die Knotenlinie um den Winkel $ \vartheta $ gedreht. Diesen Winkel schließen auch die 1'-, 2'-Ebene und die 1-, 2-Ebene ein. Die momentane Stellung der 2'-Achse gibt die Querachse. Im letzten Schritt werden die 1'- und 2'-Achse um den Winkel $ \psi $ um die 3'-Achse in die Endlage gedreht.

Der vom gemeinsamen Ursprung $ O$ beider Systeme zum Punkt $ P$ weisende Vektor $ \vec{OP}$ hat in $ S$ die Komponenten $ x_i$ , in $ S'$ die Komponenten $ x_j'$ .

$\displaystyle \vec{OP}  =  e_i^{j}  x_j  =  e^{'j}_i  x_j' .$ (812)

Die Komponenten werden gemäß Gl. (8.5) umgerechnet:

$\displaystyle x_i  =  a_{ij}  x_j' , \quad x_i'  =  a_{ij}^{-1}  x_j  =  \tilde{a}_{ij}  x_j  =  a_{ji}  x_i.$ (813)

Die orthogonale Transformationsmatrix ist gegeben durch:

$\displaystyle A(\varphi,\vartheta,\psi)  =  (a_{ij})  =$ (814)

$\displaystyle =  \left( \begin{array}{ccc}
\cos\psi \cos\varphi - \cos\varthe...
...theta \sin\psi &
\sin\vartheta \cos\psi & \cos\vartheta \end{array} \right) .
$

$\displaystyle 0  \leq  \varphi  <  2 \pi, \qquad 0  \leq  \vartheta  <  \pi, \qquad
0  \leq  \psi  <  2 \pi.
$

Diese Matrix kann berechnet werden, indem man zuerst die einzelnen Drehungen ausrechnet. Diese sind $ A(\vec{e}^3, \varphi)$, $ A(\vec{e}^1, \vartheta)$ und $ A(\vec{e}^3, \psi)$. Die erste und die letzte Drehmatrix ergeben sich aus (8.8), indem man für $ \Phi $ den entsprechenden Winkel einsetzt. Für die Drehung um die Knotenlinie findet man:

$\displaystyle A(\vec{e}^{ 1}, \vartheta)  = \
\left( \begin{array}{ccc}
1 &...
...n \vartheta  [1mm]
0 & \sin \vartheta & \cos \vartheta \end{array} \right) .
$

Die gesamte Drehmatrix ergibt sich dann durch Matrizenmultiplikation und liefert obige Matrix (8.14).

Für ein anderes Verfahren wird Gl. (8.12) mit $ e^k_i$ überschoben, der resultierende Ausdruck wird mit Gl. (8.5) verglichen. Dies gibt:

$\displaystyle e_i^k  e_i^j  x_j  =  x_k  =  e_i^{'j}  e_i^k  x_j' , \qquad a_{kj}  =  e_i^{'j}  e_i^k .$ (815)

Die Matrixelemente $ a_{jk}$ können also aus den inneren Produkten der Basisvektoren bestimmt werden. Die Basisvektoren von $ S$ sind einfach, Gl. (8.16a); die Komponenten der Basisvektoren $ \vec{e}^{ 'k}$ in $ S$ berechnet man mit Hilfe der Abb. 8.3. $ \vec{e}^{ '1} $ und $ \vec{e}^{ '2} $ kann man zunächst auf $ \vec{e}_K$ (in Richtung der Knotenlinie) und $ \vec{e}_Q$ (in Richtung der Querachse) aufspannen. Wir geben die benötigten Basisvektoren an, bei manchen werden für spätere Anwendungen die Komponenten bezüglich $ S$ und $ S'$ benötigt.

\begin{displaymath}\begin{array}{rlcll} e^k_i  =  & \delta_{ik} && \mbox{in} \...
...psi,\cos\vartheta) && \mbox{in}   S', &\mbox{(i)} \end{array}\end{displaymath} (816)

Die Bewegungsgleichungen in beschleunigten Bezugssystemen

Jetzt nehmen wir an, die Lage des körperfesten Systems $ S'$ ändert sich im Laufe der Zeit. In der Transformationsgleichung (8.5) sind der Vektor $ \vec{a}(t)$ und die Matrixelemente $ a_{ij}(t) $ Funktionen der Zeit. Dies muß bei der Berechnung der Geschwindigkeit $ \vec{v}  \hat{=}  \dot{x}_i $ und der Beschleunigung $ \vec{b}  \hat{=}  \ddot{x}_i$ berücksichtigt werden.

Hiebei ist eine gesonderte Untersuchung der Zeitableitung einer orthogonalen Transformationsmatrix nötig. In diesem Fall unterscheiden sich die symbolische und die analytische (Tensor-)schreibweise mehr als sonst. Deshalb geben wir diese Ableitung in beiden Fällen an. Die symbolische Schreibweise erscheint einfacher und übersichtlicher, bei der Berechnung komplifzierterer Probleme kann die analytische vorteilhafter sein. Es gibt ja zwei Bezugssysteme, das raumfeste und das körperfeste. Jede symbolische Gleichung muß bei einer konkreten Rechnung in einem der beiden Systeme ausgewertet werden und dies kann in komplexeren Fällen schwierig werden. Bei der analytischen Schreibweise sind die Formeln länglicher weil die Transformationen zwischen den Systemen immer explizit angegeben sind.

Behandlung des rotierenden Koordinatensystems in der symbolischen Schreibweise

Die Drehung des körperfesten Systems kann durch einen Vektor beschrieben werden, der die Winkelgeschwindigkeit genannt wird. Dies ist anschaulich klar. Wir zeigen jetzt wie die zeitliche Änderung der Basisvektoren durch diesen Vektor ausgedrückt werden kann.

Der Vektor der Winkelgeschwindigkeit

Die Basisvektoren $ \vec{e}^{ '1},\vec{e}^{ '2},\vec{e}^{ '3} $ des rotierenden Koordinatensystems sind normiert und stehen paarweise aufeinander orthogonal:

$\displaystyle \big( \vec{e}^{ 'i} \cdot \vec{e}^{ 'j} \big)  =  \delta_{ij}, \qquad i,j = 1,2,3.$ (817)

Sie sind zeitabhängig. Die Zeitableitung steht auf dem ursprünglichen Vektor senkrecht, wie aus Gl. (8.17) folgt.

$\displaystyle \frac{d}{dt} \bigg\vert  \big( \vec{e}^{ 'i} \big)^2  =  1 \qq...
...vec{e}^{ 'i} \cdot \frac{d \vec{e}^{ 'i}}{dt} \bigg)  =  0, \qquad i = 1,2,3.$ (818)

Das Vektorprodukt zweier Basisvektoren gibt den dritten. Durch Differentiation nach der Zeit folgt daraus:

$\displaystyle \vec{e}^{ '1}  \times  \vec{e}^{ '2}  =  \vec{e}^{ '3}; \qqua...
...mes  \vec{e}^{ '2}  +  \vec{e}^{ '1}  \times  \frac{d \vec{e}^{ '2}}{dt} .$ (819)

Daraus folgt durch vektorielle Multiplikation mit $ \frac{d \vec{e}^{ '2}}{dt} $ :
$\displaystyle \frac{d \vec{e}^{ '2} }{dt}  \times  \frac{d \vec{e}^{ '3} }{dt}  $ $\displaystyle =$ $\displaystyle \
\frac{d \vec{e}^{ '2}}{dt}  \times \bigg( \frac{d \vec{e}^{ '...
...t}  \times \bigg(
\vec{e}^{ '1}  \times  \frac{d \vec{e}^{ '2}}{dt} \bigg) =$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle \frac{d \vec{e}^{ '1} }{dt} \
\underbrace{\bigg( \vec{e}^{ '2} \...
...}  \bigg( \frac{d \vec{e}^{ '1} }{dt} \cdot
\frac{d \vec{e}^{ '2} }{dt} \bigg)$  
  $\displaystyle +$ $\displaystyle \vec{e}^{ '1}  \bigg( \frac{d \vec{e}^{ '2}}{dt}  \cdot  \frac...
...{e}^{ '2}}{dt}  \bigg( \vec{e}^{ '1} \cdot \frac{d \vec{e}^{ '2}}{dt} \bigg) .$  

Skalare Multiplikation der letzten Gleichung mit $ \frac{d \vec{e}^{ '1}}{dt} $ macht auch den dritten Term zu Null. Gleichzeitig gibt dies das Spatprodukt:
$\displaystyle \bigg( \frac{d \vec{e}^{ '1}}{dt}, \frac{d \vec{e}^{ '2}}{dt}, \frac{d \vec{e}^{ '3}}{dt} \bigg)
 $ $\displaystyle =$ $\displaystyle - \bigg( \frac{d \vec{e}^{ '1}}{dt} \cdot  \vec{e}^{ '2} \bigg)
...
... '2}}{dt} \bigg)
\bigg( \frac{d \vec{e}^{ '2}}{dt} \cdot  \vec{e}^{ '1} \bigg)$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle - \bigg( \frac{d \vec{e}^{ '1}}{dt} \frac{d \vec{e}^{ '2}}{dt} \b...
...vec{e}^{ '2}  + \
\vec{e}^{ '1}  \cdot \frac{d \vec{e}^{ '2}}{dt} \bigg)  .$  

Differenziert man Gl. (8.17) für $ i \neq j$ nach der Zeit, findet man:

$\displaystyle \frac{d \vec{e}^{ 'i}}{dt} \cdot  \vec{e}^{ 'j}  +  \vec{e}^{ 'i} \cdot \frac{d \vec{e}^{ 'j}}{dt}  =  0; \qquad i \neq j.$ (820)

Deswegen ist der zweite Faktor der vorletzten Gleichung Null, damit auch das Spatprodukt der Zeitableitungen der Basisvektoren; diese liegen daher in einer Ebene. $ \vec{\omega}_0$ sei ein Einheitsvektor senkrecht zu dieser Ebene.

$\displaystyle \vec{\omega}_0  \perp  \frac{d \vec{e}^{ 'i}}{dt}  .
$

Wegen Gln. (8.18) und (8.20) steht $ \frac{d \vec{e}^{ 'i}}{dt} $ senkrecht auf $ \vec{e}^{ 'i} $ und auf $ \vec{\omega}_0$. Daher kann man die Zeitableitungen der Basisvektoren schreiben als:

$\displaystyle \frac{d \vec{e}^{ 'i}}{dt}  =  \alpha_i  ( \vec{\omega}_0 \times \vec{e}^{ 'i}).$ (821)

In obiger Gleichung darf über den wiederholten Index $ i$ nicht summiert werden. Setzt man (8.21) in (8.20) ein, ergeben sich:

$\displaystyle \alpha_1  \vec{e}^{ '2}  ( \vec{\omega}_0 \times \vec{e}^{ '1})...
...= \
(\alpha_1 - \alpha_2 )  ( \vec{\omega}_0 \cdot \vec{e}^{ '3})   =  0.
$

und zwei analoge Gleichungen für $ ( \vec{\omega}_0 \cdot \vec{e}^{ '1})$ und $ ( \vec{\omega}_0 \cdot \vec{e}^{ '2})$. Da die drei Basisvektoren paarweise orthogonal sind, können nicht alle drei inneren Produkte $ ( \vec{\omega}_0 \cdot \vec{e}^{ 'i})$ gleichzeitig Null sein. Daher müssen alle drei Differenzen der $ \alpha_i$ Null, also alle drei $ \alpha_i$ gleich sein. Damit kann man Gl. (8.21) in folgender endgültiger Form schreiben:

$\displaystyle \vspace{-3mm} \fbox{\parbox{3.5cm}{ \begin{center}\vspace{-3mm} $...
... =  ( \vec{\omega} \times \vec{e}^{ 'i}) .   $ \vspace{-5mm} \end{center}}}$ (822)



Der Vektor $ \vec{\omega}$ ist der Vektor der Winkelgeschwindigkeit, wie er auch unten in Gl. (8.28) definiert ist. Seine Richtung gibt die Richtung der Drehachse, seine Länge den Betrag der Winkelgeschwindigkeit an.

Geschwindigkeit und Beschleunigung

Bei der Berechnung der Geschwindigkeit durch Differentiation des Ortsvektors nach der Zeit muß man beachten, daß auch die Basisvektoren des bewegten Systems Funktionen der Zeit sind.

$\displaystyle \vec{r}  =  \vec{a}  + \vec{r}{ '}, \quad x_i \vec{e}^{ i}  =  a_i(t)  \vec{e}^{ i}  +  x'_k(t)  \vec{e}^{ 'k}(t).$ (823)

\begin{displaymath}\begin{array}{rcccccc} \vec{e}^{ i}  \frac{\displaystyle d x...
...tyle dt} &+& \vec{\omega}  \times  \vec{r}{ '} . \end{array}\end{displaymath} (824)

Zur Umrechnung des letzten Termes der letzten Gleichung wurde Gl. (8.21) herangezogen. $ \frac{d^*}{dt}\cdot$ bedeutet, daß bei der Ableitung nur die gestrichenen Koordinaten nach der Zeit differenziert werden, nicht aber die zeitabhängigen Basisvektoren. Die Geschwindigkeit im raumfesten System wie diese auf der linken Seite steht, wird auf der rechten Seite aus drei Beiträgen zusammengesetzt: 1) Aus der Bewegung des Ursprungs $ O'$ des gestrichenen Systems $ S'$, 2) aus der Geschwindigkeit des Massenpunktes relativ $ S'$ und 3) aus der Drehung des Systems $ S'$.

Wird Gl. (8.24) nach der Zeit differenziert, erhält man die Beschleunigung. Auf der rechten Seite werden wieder die Zeitableitungen $ \frac{d \vec{e}^{ 'i}}{dt} $ gemäß Gl. (8.22) ersetzt. Dies gibt dann:

$\displaystyle \vec{b}  =  \frac{d \vec{v}}{dt}  =  \frac{d^2 \vec{r}}{dt^2}...
...mes \vec{v}{ '}  +  \vec{\omega} \times ( \vec{\omega} \times \vec{r}{ '}).$ (825)

Die Beschleunigung im raumfesten System kann zusammengesetzt werden aus:

1) der Beschleunigung des Urprungs $ O'$,
2) der Relativbeschleunigung,
3) der Winkelbeschleunigung der Drehungs von $ S'$,
4) der Coriolisbeschleunigung,
5) der Zentripetalbeschleunigung.

Die Bewegungsgleichung im beschleunigten Bezugssystem

Die Newtonsche Bewegungsgleichung

$\displaystyle m \frac{d^2 \vec{r}}{dt^2}  =  \vec{F}
$

gilt nur im raumfesten System, da dieses nach Voraussetzung ein Inertialsystem ist. Aus der obigen Gleichung für die Beschleunigung kann man aber eine Gleichung für die Beschleunigung relativ zu $ S'$ bilden:

$\displaystyle m  \vec{b}{ '}  =  m  \frac{d^* \vec{v}}{dt}  =  m  \frac...
...}  -  m  \vec{\omega} \times \left( \vec{\omega} \times \vec{r}{ '}\right).$ (826)

Die Beschleunigung relativ zu $ S'$ wird verursacht durch 1) die eingeprägte Kraft $ F'$ (der Strich bedeutet, daß die eingeprägte Kraft ins beschleunigte System umgerechnet werden muß) und aus den Trägheitskräften 2) resultierend aus der beschleunigten Bewegung von $ O'$, 3) aus der beschleunigten Drehung von $ S'$, 4) aus der Corioliskraft und 5) aus der Zentrifugalkraft.

Behandlung des rotierenden Koordinatensystems in der analytischen Schreibweise

Wir gehen von Gl. (8.5) aus. Im allg. sind die Komponenten $ a_i$ des Translationsvektors und die Elemente $ a_{ij'}$ der Drehmatrix gegebene Funktionen der Zeit. Wieder ist eine gesonderte Untersuchung der Zeitableitung dieser Matrix nötig; dies führt neuerlich auf den Vektor der Winkelgeschwindigkeit mit den Komponenten $ \omega_i$.

Der Vektor der Winkelgeschwindigkeit

Wir betrachten zunächst eine reine Drehung, also Gl. (8.5) mit $ a_i \equiv 0 $; daher ist $ O = O'$. Ebenso sei der Punkt $ P$ fix in $ S'$ (Abb. 8.3):

$\displaystyle x_i  =  a_{ij}(t)  x_j' , \qquad x_j' \equiv$   const. (827)

Die Matrixelemente $ a_{ij}$ der Drehmatrix sind miteinander verknüpft durch die Orthonormierungsrelationen (8.9). Von diesen wird das System (a) nach der Zeit abgeleitet:

$\displaystyle \dot{a}_{ij}  a_{kj}  +  a_{ij}  \dot{a}_{kj}  =  0 , \quad...
...j}  \dot{\tilde{a}}_{jk} , \quad
\dot{A} \tilde{A}  =  - A \dot{\tilde{A}};
$

$\displaystyle B := \dot{A} \tilde{A} \quad \Rightarrow \quad \tilde{B}  =  \w...
...de{\dot{A}}  =  A \dot{\tilde{A}}, \qquad
\underline{B  =  - \tilde{B}} .
$

Man sieht: Die Matrix $ B := \dot{A} \tilde{A}$ ist schiefsymmetrisch. Sie enthält (wie auch jeder schiefsymmetrsiche Tensor 2. Stufe in 3 Dimensionen) nur drei unabhängige Elemente. Daher kann man $ B$ einen dreidimensionalen Vektor zuordnen. Dafür wählen wir folgende Definition:

$\displaystyle \dot{a}_{ij}  a_{kj}  =  - a_{ij}  \dot{a}_{kj}  :=  \varepsilon_{irk}  \omega_r .$ (828)

Überschieben dieser Gleichung mit $  a_{ks}  $ gibt mit den Orthonormierungsrelationen (8.7) folgenden Ausdruck für die Zeitableitung von $  a_{is} $:
$\displaystyle \begin{equation}\dot{a}_{is}  =  \varepsilon_{irk}  \omega_r  a_{ks}. \end{equation}$    

$ \omega_r$ sind die Komponenten des Vektors $ \vec{\omega}$ der Winkelgschwindigkeit, und zwar bezogen auf das raumfeste System $ S$. Diese Komponenten können gemäß Gl. (8.9) ins bewegte System transformiert werden ( $ \omega_r = a_{rn}  \omega_n'$). Damit, mit den Orthonormierungsrelationen (8.7) und mit der Transformationsformel für einen Tensor 3. Stufe

$\displaystyle \varepsilon_{ijk}  a_{ir}  a_{js}  a_{kt}  =  \varepsilon_{rst}
$

bekommt man aus (8.29a):

$\displaystyle \dot{a}_{is}  =  \delta_{ij}  \varepsilon_{jrk}  a_{rn}  \om...
...{ks}  = \
a_{il}  a_{jl}  a_{rn}  a_{ks}  \varepsilon_{jrk}  \omega_n',
$

$\displaystyle \addtocounter{equation}{1} \begin{equation}\dot{a}_{is}  =  a_{il}  \varepsilon_{lns}  \omega_n' . \end{equation}$ (829a)

Gln. (8.29a) und (8.29b) dienen zur Ersetzung der Zeitableitung $ \dot{a}_{ij}$ ; Gl. (8.29a) wird verwendet, wenn man die Winkelgeschwindigkeit im raumfesten System ausdrücken will, Gl. (8.29a) im körperfesten. In beiden Formeln werden die Größen, die zunächst in $ S'$ berechnet worden sind, mittels eines $ a_{ij}$ ins körperfeste System transformiert und umgekehrt.

Zur Interpretation des Vektors $ \vec{\omega}  \hat{=}  \omega_i$, der in Gl. (8.28) definiert worden ist, differenzieren wir Gl. (8.5) (mit $ a_i \equiv 0 $) nach der Zeit $ t$ und setzen Gl. (8.5) und (8.29a) ein:



$\displaystyle \vspace*{10mm}
\hspace*{7cm} \dot{x}_i  $ $\displaystyle =$ $\displaystyle  \dot{a}_{ij}  x_j'  =$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle  \varepsilon_{irk}  \omega_r  a_{kj}  x_j'  =$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle  \varepsilon_{irk}  \omega_r  x_k ; \hspace{40mm}$ (830)
$\displaystyle \hspace{50mm} \dot{\vec{r}}  $ $\displaystyle =$ $\displaystyle  \vec{\omega}  \times  \vec{r}.$  

Abbildung 8.4: Vektor der Winkelgeschwindigkeit.
\includegraphics[scale=0.7]{k8_winkelgeschw}

Aus dieser Gleichung und aus Abb. 8.4 sieht man, daß der Vektor $ \vec{\omega}$ eine Drehung vermittelt, denn die Geschwindigkeit steht senkrecht zu $ \vec{\omega}$ und zu $ \vec{r}  \hat{=}  x_i $. Der Einheitsvektor $ \vec{\omega}/\omega$ gibt die momentane Drehachse, der Betrag $ \omega $ die Geschwindigkeit der Drehung, also die Winkelgeschwindigkeit. Man kann auch Gl. (8.30) als eine Definition der Winkelgeschwindigkeit betrachten. Man sieht, daß dieser Vektor nicht eine Ableitung ist, aber über eine Ableitung auf der linken Seite der Gleichung definiert ist. Deswegen stellt im allg. der Vektor der Winkelgeschwindigkeit keine Ableitung eines Vektors dar ( $ \vec{\omega} \neq d\vec{\varphi}/dt)$, er ist anholonom. Solche ''Geschwindigkeiten'', die nur über Linearkombinationen von Geschwindigkeiten und nicht durch Ableitungen definiert sind, heißen ''Quasikoordinaten'' (vgl. Gl. (11.22)). Deswegen ist es in manchen Fällen zweckmäßig, von der Winkelgeschwindigkeit auf die Eulerschen Winkel und deren Zeitableitungen überzugehen. Letztere Größen sind holonom, also Ableitungen von Funktionen.

Winkelgeschwindigkeit und Eulersche Winkel

Die Komponenten der Winkelgeschwindigkeit $ \vec{\omega}$ lassen sich auch durch die Eulerschen Winkel, §8.3, und deren Zeitableitungen ausdrücken. Dazu wird die gesamte Drehung zerlegt in eine solche um $ \vec{e}^{ '3} $ mit der Winkelgeschwindigkeit $ \dot{\psi}$, in eine solche um $ \vec{e}_K$ mit der Winkelgeschwindigkeit $ \dot{\vartheta}$ und in die Drehung um $ \vec{e}^{ 3} $ mit der Winkelgeschwindigkeit $ \dot{\varphi}$. Man erhält die Komponenten $ \omega_i$ bzw. $ \omega_i'$ , wenn man für $ \vec{e}^{ '3},  \vec{e}_K, \vec{e}^{ 3} $ die Komponenten bezüglich $ S$ bzw. $ S'$, Gln. (8.16), nimmt.

$\displaystyle \vec{\omega}  =  \vec{e}^{ '3}  \dot{\psi}  +  \vec{e}_K  \dot{\vartheta}  +  \vec{e}^{ 3}  \dot{\varphi};$ (831)


$\displaystyle \omega_i  $ $\displaystyle =$ $\displaystyle \
(\dot{\psi}  \sin\vartheta  \sin\varphi  +  \dot{\vartheta...
...t{\vartheta}  \sin\varphi , \
\dot{\psi} \cos\vartheta  +  \dot{\varphi}) ,$  
$\displaystyle \omega_i'  $ $\displaystyle =$ $\displaystyle \
(\dot{\varphi}  \sin\vartheta  \sin\psi  +  \dot{\vartheta...
...\dot{\vartheta} \sin\psi , \
\dot{\psi}  +  \dot{\varphi}  \cos\vartheta) .$  

Die Winkelgeschwindigkeiten $ \dot{\psi},  \dot{\vartheta} ,  \dot{\varphi}$ sind Ableitungen der holonomen Koordinaten $ \psi, \vartheta ,\varphi $. Dagegen sind die Komponenten des Vektors der Winkelgeschwindigkeit $ \vec{\omega}$ anholonom.


Ableitung der Geschwindigkeit, Beschleunigung und der Bewegungsgleichungen im bewegten System

Zur Ableitung eines allgemeinen Ausdrucks für die Transformation der Geschwindigkeit wird Gl. (8.5) nach der Zeit differenziert. Dabei wird berücksichtigt, daß $ a_i$, $ a_{ij}$ und $ x_j'$ Funktionen der Zeit sind. $ \dot{a}_{ij}$ wird mittels Gl. (8.29) eliminiert.

\begin{subequations}\begin{align}\dot{x}_i\qquad &=\qquad\quad \dot{a}_i \qquad\...
...8mm}+\;\; \mbox{Relativgeschwindigkeit.} \nonumber \end{align}\end{subequations}

Benutzt man zur Elimination von $  \dot{a}_{ij} $ Gl. (8.29b), dann erhält man eine zweite Gleichung:
$\displaystyle \addtocounter{equation}{1} <tex2html_comment_mark>71 \begin{equat...
..._{ip}\varepsilon_{prj}\omega_r' x_j'\; +\qquad a_{ij}\dot{x}_j'. \end{equation}$ (832a)

In der symbolischen Schreibweise der Vektorrechnung wird Gl. (8.32a) folgendermaßen geschrieben:
$\displaystyle \addtocounter{equation}{2} <tex2html_comment_mark>72 \begin{equat...
...\times \vec{r'}\hspace{0.6cm}+\qquad \frac{d^*\vec{r}{ '}}{dt}. \end{equation}$ (832a)

Darin bedeutet $  d^*/dt $, daß nur die Komponenten von $  \vec{r'} $, nicht aber die zeitlich veränderlichen Basisvektoren von $ S'$ nach der Zeit differenziert werden. Die Schreibweise von Gl. (8.32c) erscheint kompakter als die der Gln. (8.32a) oder (8.32b). Jedoch besteht in Gl. (8.32c) manchmal Unklarheit, welche Größen in welchem System zu berechnen sind. Diese Schwierigkeit wird sehr groß, wenn mehrere Systeme mit verschiedenen relativen Bewegungen vorkommmen.
Für die zeitliche Änderung eines echten Vektors $  c_i=x_i-y_i $ ergibt sich aus Gl. (8.32a):

$\displaystyle \dot{c}_i\; =\; a_{ij}\dot{c}_i'\;+\;\varepsilon_{irk}\omega_ra_{kj}c_j'.$ (833)

Speziell für die Winkelgeschwindigkeit $ \;c_i=\omega_i\;$ folgt daraus:

$\displaystyle \dot{\omega}_i\;=\; a_{ij}\dot{\omega}_j'.$ (834)

Differentiation der Gln. (8.32) und nochmalige Verwendung von Gln. (8.29) gibt für die Beschleunigung
\begin{subequations}\begin{align}&\begin{array}{ll} \left. \begin{array}{ccllcl}...
...j} \omega_r'  \dot{x}_j'\; +\; a_{ij}\ddot{x}_j'.\end{align}\end{subequations}

Zur Interpretation der Zentripetalbeschleunigung wählen wir wieder den Spezialfall von Gl. (8.27) mit $  \dot{\omega}_i=0.$

$\displaystyle \hspace{5cm} \ddot{x}_i\;$ $\displaystyle =\;\varepsilon_{irk} \omega_r \varepsilon_{ksl}  \omega_s a_{lj} x_j'$    
  $\displaystyle =\;\left(\delta_{is} \delta_{rl}\;-\;\delta_{il} \delta_{sr}\right) \omega_r \omega_s x_l$    
  $\displaystyle =\; \omega_i \omega_l x_l\;-\;\omega^2 x_i$    
$\displaystyle \vec{b}_z\;$ $\displaystyle =\;\vec{\omega}\left(\vec{\omega}\cdot\vec{r}\right)\;- \;\omega^2 \vec{r}\;=$    
  $\displaystyle =\;\omega^2\left[\frac{\vec{\omega}}{\omega} \left(\frac{\vec{\om...
...omega}\cdot\vec{r} \right)\;-\;\vec{r} \right]\;=\; -\omega^2 \vec{r}_{\perp}$    

Abbildung 8.5: Vektor der Zentripetalbeschleunigung.
\includegraphics[scale=0.7]{k8_zentripetal_beschl}

Durch die Rotation des Systems wird der Massenpunkt senkrecht zur Drehachse einwärts beschleunigt (Abb. 8.5). Die Coriolisbeschleunigung erfahren nur Körper, die sich relativ zu einem rotierenden System bewegen. Das System wird unter der fliegenden Masse weggedreht. Für einen körperfesten Beobachter ist die Bahn eines frei fliegenden Körpers nicht mehr eine Gerade.
Die Bewegungsgleichungen im körperfesten System erhält man aus der im raumfesten Inertialsystem gültigen Bewegungsgleichung $ \;m \ddot{x}_i=
F_i$, indem man für $ \;\ddot{x}_i\;$ (8.35b) einsetzt und durch Überschieben mit $ \;a_{il} $ ins körperfeste System $ S'$ transformiert.
Umordnen der Terme ergibt:

\begin{displaymath}\begin{array}{ll} \begin{array}{ccllcl} m \ddot{x}_l' & = & ...
...hspace{0.83cm} & \mbox{Corioliskraft} \end{array} & \end{array}\end{displaymath} (836)

$ F_i'\;$ enthält die eingeprägten Kräfte. Wenn diese im raumfesten System gegeben sind, müssen sie ins körperfeste transformiert werden, Gl. (8.9). Die anderen Terme auf der rechten Seite von Gl. (8.36) resultieren aus der Bewegung des Bezugssystems und werden daher Trägheits- oder Scheinkräfte genannt. Z.B. wird ein im körperfesten System fixer Punkt bei Rotation zum Zentrum hin beschleunigt. Ist an diesem Punkt eine Masse, so wird sie sich auf Grund ihrer Trägheit dieser zentripetalen Beschleunigung widersetzen, sie wird ''scheinbar'' nach außen gezogen (Zentrifugalkraft, vgl. Abb. 8.5.


Anwendungen


Freier Fall auf der rotierenden Erde

Dieser wird durch Gl. (8.36) beschrieben. Das körperfeste System $ S'$ liegt auf der Erdoberfläche (siehe Abb. 8.6). $ \;\psi\;$ ist die geographische Breite. Die Transformationsmatrix ist:

$\displaystyle a_{ij}'\;=\;{e'}_i^j\;=\;
\left(\begin{array}{ccc}
\sin\psi \cos\...
...hi & \cos\psi \sin\varphi [0.5em]
-\cos\psi & 0 & \sin\psi
\end{array}\right)$   mit$\displaystyle \qquad \varphi\;=\;\omega t.
$

Abbildung 8.6: Freier Fall auf rotierende Erde.
\includegraphics[scale=0.84]{k8_frei_fall_rot_erde}



Damit ergibt sich für die Komponenten der Winkelgeschwindigkeit:

$\displaystyle \omega_j'\;=\; \omega_i a_{ij}\;=\;\omega \delta_{i3} a_{ij} \;=\; \omega \left(\begin{array}{c} -\cos\psi 0 \sin\psi\end{array}\right).$ (837)

Dieses Resultat läßt sich auch aus Abb. 8.6 ablesen. Die Translationsbeschleunigung ist

$\displaystyle a_i $ $\displaystyle = R \left(\begin{array}{c} \cos\psi\cos\varphi \cos\psi\sin\varphi \sin\psi\end{array}\right), \qquad\varphi\;=\;\omega t;$    
$\displaystyle \ddot{a}_i $ $\displaystyle = - R \omega^2 \cos\psi \left(\begin{array}{c} \cos\varphi \sin\varphi 0\end{array}\right),$    
$\displaystyle \ddot{a}_i a_{il} $ $\displaystyle = - R \omega^2 \cos\psi \left(\begin{array}{c} \sin\psi 0 \cos\psi\end{array}\right).$    

Die Fallhöhe $ \;h\;$ sei klein gegen die Erddimension. Dann kann man mit der konstanten Fallbeschleunigung $ \;g\;$ arbeiten. In letzterer ist schon zum Teil die Führungsbeschleunigung enthalten; diese ist überdies wegen der Kleinheit der Winkelgeschwindigkeit der Erde

$\displaystyle \omega\;=\;\frac{2\pi}{86164}\;$   s$\displaystyle ^{-1}\;=\; 7,29\cdot 10^{-5}\;$   s$\displaystyle ^{-1}$ (838)

als quadratisch in $ \;\omega\;$ gegenüber der in $ \;\omega\;$ linearen Coriolisbeschleunigung vernachlässigbar. Damit erhält man aus (8.36) die Bewegungsgleichung:

$\displaystyle m \ddot{\vec{r}}{ '}\;$ $\displaystyle =\;-m g \vec{e}_z{\!'}\;-\; 2m  \vec{\omega}'\times\dot{\vec{r}}{ '};$ (839)
$\displaystyle m \ddot{x}'\;$ $\displaystyle =\;\hspace{4.25cm}+\;2m \omega \dot{y}' \sin\psi,$    
$\displaystyle m \ddot{y}'\;$ $\displaystyle =\;\hspace{1.5cm}-\;2m \omega \dot{x}' \sin\psi \hspace{3cm} - \;2m \omega \dot{z}' \cos\psi,$    
$\displaystyle m \ddot{z}'\;$ $\displaystyle =\;-m g\hspace{3.3cm}+\;2m \omega \dot{y}' \cos\psi.$    

Dieses System von Differentialgelichungen läßt sich exakt lösen. Doch ist es zweckmäßiger, ein Näherungsverfahren heranzuziehen. Dieses beruht auf der Tatsache, daß die Wirkung der Corioliskraft klein ist im Vergleich zur Fallbeschleunigung. Allgemein wird (8.39) geschrieben als

$\displaystyle m \ddot{\vec{r}}{ '}\;=\;\vec{F}_0(\vec{r} )\;+ \;\vec{F}_1(\vec{r},\dot{\vec{r}} )$ (840)

$ \vec{F}_1\;$ ist hier die Corioliskraft und wegen ihrer Kleinheit im Vergleich zu $ \;\vec{F}_0=-mg\vec{e}_z{ '}\;$ heißt $ \;\vec{F}_1\;$ die Störung. Zuerst wird die ungestörte Bewegungsgleichung
$\displaystyle \begin{equation}m \ddot{\vec{r}}(t)\;=\;\vec{F}_0(\vec{r}_0(t)) \end{equation}$    

gelöst; man erhält $ \;\vec{r}=\vec{r}_0(t)\;$ als nullte Näherung. Letztere wird in die rechte Seite von Gl. (8.40) eingesetzt. Die Gleichung für die so erhaltene erste Näherung
$\displaystyle \addtocounter{equation}{1} \begin{equation}m \ddot{\vec{r}}{ '}...
...0(\vec{r}_0(t))\;+\; \vec{F}_1(\vec{r}_0(t), \dot{\vec{r}}_0(t)) \end{equation}$ (840a)

läßt sich leichter lösen als die exakte Gl. (8.40). In vielen Fällen liefert die Lösung von Gl. (8.40b) eine hinreichende Näherung.
Die Anwendung dieses Verfahrens auf Gl. (8.39) läuft so: Die Gleichungen der ungestörten Bewegung sind:

$\displaystyle \ddot{x}_0'\;=\;0\qquad\ddot{y}_0'\;=\;0\qquad\ddot{z}_0'\;=\;-g.$ (841)

Ihre Lösungen zu den Anfangsbedingungen sind:

$\displaystyle t = 0:\qquad$ $\displaystyle x' = \dot{x}' = y' = \dot{y}'  = \dot{z}' = 0,\quad z' = h;$    
  (842)
  $\displaystyle x_0'(t)\;\equiv\;0,\quad y_0'(t)\;\equiv\;0,\quad z_0'(t)\;=\;h - \frac{gt^2}{2}.$    

Diese werden in die rechte Seite von Gl. (8.39) eingesetzt und geben

$\displaystyle \ddot{x}_1'\;=\;0,\quad \ddot{y}_1'\;=\;-2\omega  \dot{z}_0' \cos\psi\;=\;2\omega g t \cos\psi,\quad \ddot{z}_1'\;=\;-g.$ (843)

Integration gibt unter Berücksichtigung der Anfangsbedingungen (8.42) die folgende erste Näherung:

$\displaystyle x_1'\;\equiv\;0,\quad y_1'(t)\;=\;\frac{\omega}{3} gt^3 \cos\psi,\quad z_1'(t)\;=\;h - \frac{gt^2}{2}.$ (844)

Die Falldauer $ \;T\;$ bis zum Boden und die Abweichung in $ \;y'\;$ betragen

$\displaystyle T\;=\;\sqrt{\frac{2h}{g}},\qquad y'(T)\;=\; \frac{g\omega}{3} \cos\psi \left(\frac{2h}{g} \right)^{\frac{3}{2}}.$ (845)

Für $ \;h=100$ m und $ \;\psi = 45°\;$ gibt dies eine Ostabweichung $ \;y'\approx 1,5$ cm.


Der Foucaultsche Pendelversuch

Der Focaultsche Pendelversuch ist darauf ausgerichtet, die Rotation der Erde relativ zum Inertialsystem des Fixsternhimmels zu zeigen. Bei der Beobachtung der Schwingung eines Pendels von einem erdfixen System aus, übt die Corioliskraft einen Einfluß auf die bewegte Pendelmasse. Wir werden zeigen, daß sie zu einer Drehung der Schwingungsebene des Pendels relativ zum Erdsystem führt.
Die Bewegungsgleichung für den Foucaultschen Pendelversuch erhält man aus der für den freien Fall auf der rotierdenden Erde, Gl. (8.39), indem man die Nebenbedingung für die Führung auf der Kugelfläche mit dem Radius $ \;\vert\vec{r}\vert=l\;$ ($ l$ = Pendellänge) hinzufügt:

$\displaystyle m \ddot{\vec{r'}}\;$ $\displaystyle =\;-m g \vec{e'}{\!\!}_z\;-\; 2m  \vec{\omega}'\times\dot{\vec{r'}};$    
  (846)
$\displaystyle G\;$ $\displaystyle =\;\vec{r'}^2 - l^2\;=\;0.$    

Gemäß Gl. (6.6) tritt zu den obigen beiden eingeprägten Kräften in der Bewegungsgleichung noch die Zwangskraft hinzu. Die neue Bewegungsgleichung ist daher (mit $ \;m\lambda\;$ statt mit $ \;\lambda\;$ als Lagrangeschem Multiplikator)

$\displaystyle m \ddot{\vec{r}}{ '}\;$ $\displaystyle =\;-m g \vec{e}_z{\!'}\;-\; 2m  \vec{\omega}'\times\dot{\vec{r}}{ '}\;+\;2m\lambda \vec{r}{ '};$ (847)
$\displaystyle m \ddot{x}'\;$ $\displaystyle =\;\hspace{3.25cm}+\;2m \omega \dot{y}' \sin\psi \hspace{3.131cm}+\; 2\lambda x',$    
$\displaystyle m \ddot{y}'\;$ $\displaystyle =\;\hspace{1cm}-\;2m \omega \dot{x}' \sin\psi \hspace{2.5cm} - \;2m \omega \dot{z}' \cos\psi\; +\; 2\lambda y',$    
$\displaystyle m \ddot{z}'\;$ $\displaystyle =\;-m g\hspace{2.3cm}+\;2m \omega \dot{y}' \cos\psi \hspace{2.968cm}+\;2\lambda z'.$    

Dieses System wird näherungsweise für kleine Ausschläge gelöst

$\displaystyle \delta\;$ $\displaystyle \approx\;\frac{x}{l}\;\ll\;1,\qquad \frac{y}{l}\;\ll\;1,$    
$\displaystyle \frac{z}{l}\;$ $\displaystyle =\;\cos (\pi - \delta)\;=\;-\cos\delta\;=\; -1\;+\;\frac{\delta^2}{2}\;-\;...$ (848)
$\displaystyle \frac{z}{l}\;$ $\displaystyle \approx\;-1,\quad \dot{z}\approx\;0.$    

Wegen der Kleinheit von $ \;\omega\;$, Gl. (8.38), wird in der letzten der obigen Bewegungsgleichungen (8.47) der Term proportional $ \;\omega\;$ gegen $ \;g\;$ vernachlässigt. Für kleine Ausschläge gestattet die resultierende Gleichung den Lagrangeschen Multiplikator zu bestimmen:

$\displaystyle 0\;\approx\;-g\;+\; 2\lambda z'\qquad\Longrightarrow\qquad \lambda\;=\;\frac{g}{2z'}\;\approx\; -\frac{g}{2l}.$    

Dieser Wert wird in die beiden Bewegungsgleichungen für $ \;x\;$ und $ \;y$, Gl. (8.47), eingesetzt; die resultierenden Gleichungen werden zu einer einzigen Differentialgleichung für die komplexe Variable $ \;u\;$ vereinigt:

$\displaystyle \ddot{x}' - 2a \dot{y}' +  \frac{g}{l} x'\;$ $\displaystyle =\;0,\qquad u\;:=\;x' + iy',$    
$\displaystyle \ddot{y}' - 2a \dot{x}' +  \frac{g}{l} y'\;$ $\displaystyle =\;0,\qquad \ddot{u}  + 2ai \dot{u} + \frac{g}{l} u\;=\;0.$    
$\displaystyle a\;$ $\displaystyle :=\;\omega \sin\psi.$ (849)

Letztere wird durch Exponentialansatz gelöst

  $\displaystyle u\;=\; A e^{i \alpha t}$    
  $\displaystyle -\alpha^2 - 2a \alpha + \frac{g}{l}\;=\;0,\quad\longrightarrow\quad \alpha_{1,2}\;=\; -a \pm \sqrt{a^2 + \frac{g}{l}}\;:= \;-a \pm W,$    
  $\displaystyle u\;=\;A_1 e^{-i(a - W)t} + A_2 e^{-i(a + W)t}.$ (850)

Zu den Anfangsbedingungen

$\displaystyle t\;=\;0:\qquad x'\;=\;x_0,\; y'\;=\;0,\quad\Longrightarrow\quad
u...
...x_0;\quad \dot{x}'\;=\;\dot{y}'\;=\;0,\quad\Longrightarrow\quad
\dot{u}\;=\;0
$

ergibt sich als Lösung und deren Zeitableitung:

$\displaystyle u\;$ $\displaystyle =\;\frac{x_0}{2}\left[\left(1 + \frac{a}{W} \right)e^{iWt}\; +\;\left(1 - \frac{a}{W} \right)e^{-iWt} \right] e^{-iat},$    
  (851)
$\displaystyle \dot{u}\;$ $\displaystyle =\;-x_0 \frac{g}{l}\frac{1}{W} \sin (Wt) e^{-iat}.$    

Da $ \;\sin (Wt)\;$ Nullstellen hat, verschwindet $ \;u\;$ für diese Werte von $ t$; es sind also $ \;\dot{x}\;$ und $ \;\dot{y}\;$ gleichzeitig Null, die Bahnkurve hat an diesen Stellen Spitzen; s. Abb. 8.7. Die Zeit zwischen dem Durchlaufen zweier aufeinanderfolgender Spitzen, also der Abstand zweier aufeinanderfolgender Nullstellen von $ \;\sin (Wt)\;$, ist die halbe Schwingungsdauer $ \;T\;$ des Pendels

$\displaystyle \sin(Wt)\;=\;0:\quad t = \frac{n\pi}{W},\quad \tau = 
\frac{\...
...\frac{2\pi}{\sqrt{\frac{g}{l}+a^2}} \approx  \frac{2\pi}{\sqrt{\frac{g}{l}}}
$

Der Winkel $ \;\gamma\;$ zwischen den momentanen Schwingungsebenen zur Zeit $ t=0$ und zur Zeit $ t=T$ ist

$\displaystyle u(T)\;$ $\displaystyle =\;x_0 e^{i \gamma}$    
  $\displaystyle =\;\frac{x_0}{2}\left[\left(1 + \frac{a}{W} \right)e^{2\pi i}\;...
...rac{a}{W} \right)e^{-2\pi i} \right] e^{-2\pi i \frac{a}{W}}\;=\;x_0 e^{-iaT}$    
$\displaystyle \gamma\;$ $\displaystyle =\;-2\pi \frac{a}{W}\;=\;-aT\;=\;-\omega \sin\psi 2\pi\sqrt{\frac{g}{l}}$    

Zum Abschluß ein Zahlenbeispiel für $ \;\omega\;$ aus (8.38):

$\displaystyle \hspace{8cm} l\;$ $\displaystyle =\;25\;$   m$\displaystyle ,\quad T\;=\;10\;$   s$\displaystyle ;$    
$\displaystyle \psi\;$ $\displaystyle =\;45°,\quad x_0\;=\;5\;$   m$\displaystyle .
$    
$\displaystyle \gamma\;$ $\displaystyle =\;5,16\cdot10^{-4}\;$rad$\displaystyle \;=\;2,96\cdot10^{-2} °,$    
$\displaystyle \vert x_0 \gamma\vert\;$ $\displaystyle =\;0,26\;$cm$\displaystyle .
$    

Abbildung 8.7: Drehung der Schwingungsebenen eines Pendels aufgrund der Rotation der Erde. Die Breitenabhängigkeit des Foucaultschen Pendels wird im Notebook K8FoucaultP.nb simuliert.
\includegraphics[scale=0.7]{k8_focault}


Die Lamorpräzession

In einem Inertialsystem werde einem gegebenen eingeprägten Kraftfeld $ \;\vec{F}_0\;$ ein homogenes Magnetfeld $ \;\vec{B}\;$ überlagert, das so schwach ist, daß die Lorentzkraft auf ein Teilchen der Ladung $ e$ klein ist im Vergleich zu $ \;\vec{F}_0\;$. Das Theorem von Larmor besagt, daß unter dieser Bedingung die Lorentzkraft nur zu einer Rotation der ungestörten Bahn mit der Winkelgeschwindigkeit

$\displaystyle \vec{\omega}_L\;=\;\frac{e}{2m} \vec{B}$ (852)

(Larmorpräzession) führt. $ \; \vec{\omega}_L\; $ heißt Lamorfrequenz. Z.B. ein Elektron bewegt sich im elektorstatischen Feld des Atomkerns. Seine Bahn ist eine Keplerellipse. Wird dieses Atom in ein schaches homogenes Magnetfeld gebracht, dann rotiert die Keplerellipse mit $ \; \vec{\omega}_L\; $ um die magnetische Feldrichtung. In einem beliebigen Zentralkraftfeld ist die Bahn eben. Unter dem Einfluß des zusätzlichen schwachen Magnetfeldes rotiert die Bahnnormale (prop. dem Drehimpulsvektor) mit der Frequenz $ \; \vec{\omega}_L\; $ auf einem Kegel, dessen Achse mit der Richtung des Magnetfeldes zusammenfällt.
Dieses Theorem ist besonders wichtig in der Atomphysik für Systeme mit mehreren Elektronen; deren Bewegungsgleichungen lassen sich nur schwer lösen. Das Larmorsche Theorem gestattet es, die Aufspaltung der Spektrallinien durch ein Magnetfeld, den ZEEMANEFFEKT, unmittelbar zu berechnen.
Zur Illustration betrachten wir einen harmonischen Oszillator in einem Magnetfeld. Der Einfachheit halber nehmen wir an, die Anfangsbedingungen seien derart, daß die Bewegung auf die Ebene senkrecht zu $ \;\vec{B}=B\vec{e}\;$ ($ B>0$) beschränkt ist

$\displaystyle \left.
\begin{array}{ccllcl\vert l}
m \ddot{\vec{r}} & = &-m \o...
...mega_L \dot{y}\;+\;
\omega_0^2 y & = & 0 &\cdot  i
\end{array} \right\}\;+
$

Die beiden Bewegungsgleichungen werden, wie angedeutet, zu einer komplexen vereinigt und diese mittels Exponentialansatz gelöst

$\displaystyle u\;$ $\displaystyle :=\;x + iy:\quad \ddot{u} + 2i\omega_L \dot{u} +  \omega_0^2 u\;=\;0,$    
$\displaystyle u\;$ $\displaystyle =\;A e^{i\omega t}:\quad -\omega^2 - 2\omega_L \omega +  \o...
..._L \pm  \sqrt{\omega_0^2 + \omega_L^2}\;\approx\; -\omega_L \pm \omega_0;$    
$\displaystyle u\;$ $\displaystyle =\;A_1 e^{i\omega_1 t} + A_2 e^{i\omega_2 t}\;\approx\; e^{-i\omega_L t}\left[A_1 e^{i\omega_0 t} + A_2 e^{-i\omega_0 t} \right]$    
  $\displaystyle =\;e^{-i\omega_L t} (x' + iy').$    

Bei der Berechung der Näherungswerte für $ \; \vec{\omega}_1\; $ und $ \;
\vec{\omega}_2\; $ wurde berücksichtigt, daß die Lorentzkraft klein ist gegnüber der elastischen Bindung, d.h. $ \; \vec{\omega}_0^2
\gg\vec{\omega}_L^2$. Man sieht bereits hier, daß in dieser Näherung die Bewegung im Magnetfeld beschrieben ist durch den Ausdruck in der Klammer, der einer ungestörten Oszillation entspricht, während der Vorfaktor die Rotation mit der Larmorfrequenz $ \; \vec{\omega}_L\; $ widergibt. Setzen wir $ \;A_1=A_2=A/2$, $ A$ reell, so entspricht dies einer Oszillation längs des Strahls $ \;x'\in[-A, A]$, $ \;y'=0$; die vollständige Näherungslösung enthält zusätzlich eine Rotation dieser Strecke mit der Larmorfrequenz $ \;
\vec{\omega}_L$.
Beweis des Larmorschen Theorems: In einem Inertialsystem lautet die Bewegungsgleichung:

$\displaystyle m \ddot{\vec{r}}\;=\;\vec{F}_0 + e \vec{v}\times\vec{B}\;=\; \vec{F}_0' - e \vec{B}\times\dot{\vec{r}}$ (853)

In einem System, das mit konstanter Winkelgeschwindigkeit $ \;\vec{\omega}\;$ rotiert, lautet die Bewegungsgleichung (Gl. (8.53))

$\displaystyle m \ddot{\vec{r'}}\;=\;\vec{F}_0' - e \vec{B}'\times\dot{\vec{r}} ' - 2m \vec{\omega}'\times\dot{\vec{r}} ' + \omega^2 ...$ (854)

Der Zentrifugalterm kann vernachläßigt werden, wenn $ \;\omega^2\;$ klein ist. Dann heben sich die Lorentzkraft und die Corioliskraft auf, wenn $ \;\vec{\omega}'=\vec{\omega}_L'\;$ gewählt wird. Wegen Gl. (8.9) gilt dann die Behauptung (8.52).
Ist $ \;\vec{F}_0\;$ eine Zentralkraft, dann ist der Drehimpuls zeitlich konstant in einem Inertialsystem. Für $ \;\vec{\omega}=\vec{\omega}_L\;$ und unter den angegebenen Näherungen hat auch die Bewegungsgleichung (8.54) die gleiche Form wie in einem Inertialsystem. Im rotierenden System ist also der Drehimpulsvektor zeitlich konstant. Gemäß (8.9) und (8.33) gilt dann im raumfesten System:

$\displaystyle \frac{d\vec{L}}{dt}\;=\;\vec{\omega}_L\times\vec{L}.$ (855)

Es ist nicht schwer mit Hilfe dieser Gleichung zu zeigen, daß das Quadrat $ \;L^2\;$ und die Komponente von $ \;\vec{L}\;$ in Richtung von $ \;
\vec{\omega}_L$, also $ \;\vec{B}$, konstant sind. Der Drehimpulsvektor bewegt sich also auf einem Kegel, dessen Achse mit der Feldrichtung zusammenfällt.


Mitbewegte Basissysteme für krummlinige orthogonale Koordinatensystem

Die Problemstellung wird zuerst an einem Beispiel erklärt. Die Bewegung eines Massenpunktes soll in ebenen Polarkoordinaten beschrieben werden (Abb. 8.8). Der Ortsvektor

$\displaystyle \vec{r}\;=\;r \vec{e}_r\;=\;r \frac{\vec{r}}{r}$ (856)

Abbildung 8.8: Bewegung eines Massenpunktes.
\includegraphics[scale=0.75]{k8_krumml_koord}
der die augenblickliche Lage des Massenpunktes angibt, läuft mit dem bewegten Massenpunkt mit; damit dreht sich $ \;\vec{e}_r\;$ mit der Bewegung des Massenpunktes mit. $ \vec{r}\;$ und $ \;\vec{e}_r\;$ sind beide Funktionen der Zeit. Ebenso dreht sich der zu $ \;\vec{e}_r\;$ senkrechte Einheitsvektor $ \;\vec{e}_{\varphi}$. Dies muß bei der Berechnung der Geschwindigkeit und der Beschleunigung berücksichtigt werden. Im Zeitintervall $ \;dt\;$ bewegt sich der Massenpunkt P nach P'. Aus Abb. 8.8 ersieht man, daß die Inkremente $ \;d\vec{e}_r\;$ und $ \;d\vec{e}_{\varphi}\;$ gegeben sind durch

\begin{displaymath}\begin{array}{ccrcccr} d\vec{e}_r & = & \vec{e}_{\varphi} d\...
...\vec{e}}_{\varphi} & = & -\vec{e}_r \dot{\varphi}. \end{array}\end{displaymath} (857)

Diese Transformationsgleichungen erhält man auch auf folgende Weise. Man gibt die Einheitsvektoren $ \;\vec{e}_r\;$ und $ \;\vec{e}_{\varphi}\;$ in kartesischen Koordinaten an:

$\displaystyle \vec{e}_r\;=\;\frac{\vec{r}}{r}\;=\;\left(\cos\varphi \atop \sin\...
...ght), \qquad \vec{e}_{\varphi}\;=\;\left(-\sin\varphi \atop \cos\varphi\right).$ (858)

Differentiation nach der Zeit gibt dann wieder
$\displaystyle \begin{equation}\dot{\vec{e}}_r\;=\;\dot{\varphi} \left(-\sin\va...
...arphi \atop -\sin\varphi \right)\;=\;- \dot{\varphi} \vec{e}_r. \end{equation}$    

Dieses Verfahren ist bei komplizierten krummlinigen Koordinatensystemen leichter durchzuführen als die der Abb. 8.8 entsprechenden geometrischen Überlegungen.

Mit Hilfe der Gln. (8.57) erhält man für die Geschwindigkeit und Beschleunigung:

$\displaystyle \vec{v}\;$ $\displaystyle =\;\vec{e}_r v_r + \vec{e}_{\varphi} v_{\varphi} =\; \dot{\v...
...{e}_r \dot{r}\;=\;\vec{e}_r \dot{r}  + \vec{e}_{\varphi} r \dot{\varphi},$    
  $\displaystyle \qquad v_r=\dot{r},\hspace{1.32cm} v_{\varphi} =\;r \dot{\varphi} ;$    
  (859)
$\displaystyle \vec{b}\;$ $\displaystyle =\;\vec{e}_r b_r + \vec{e}_{\varphi} b_{\varphi}\;=\; \dot{\v...
...ec{e}_{\varphi}\dot{r}\dot{\varphi} +  \vec{e}_{\varphi}  r \ddot{\varphi},$    
  $\displaystyle \qquad b_r=\ddot{r} - r \dot{\varphi}^2,\hspace{0.54cm} b_{\varphi}\;=\;2\dot{r} \dot{\varphi} + r \ddot{\varphi} .$    

Für die Bewegung eines Massenpunktes im Felde einer Zentralkraft ergibt sich, wenn man ebene Polarkoordinaten in der Bahnebene mit dem Ursprung im Kraftzentrum ($ r = 0$) verwendet:

  $\displaystyle m \dot{\vec{r}}\;=\;mb_r \vec{e}_r + mb_{\varphi} \vec{e}_{\...
...{r}\;=\;F_r \vec{e}_r +  F_{\varphi} \vec{e}_{\varphi}\;=\;f(r) \vec{e}_r,$    
  $\displaystyle \quad m\left(\ddot{r} - r \dot{\varphi}^2\right)\;=\;f(r)$ (860)
  $\displaystyle \quad m\left(2\dot{r}\dot{\varphi} + r \ddot{\varphi}\right)\;...
...}\right)\;= \;m\left(2r\dot{r}\dot{\varphi} + r^2\ddot{\varphi} \right)\;=\;0$    

In Zylinderkoordinaten $ \;r$, $ \varphi$, $ z\;$ findet man mittels Gln. (8.57) an Stelle von Gln. (8.56) und (8.59)

  $\displaystyle \qquad \vec{r}\;=\;\vec{e}_r r + \vec{e}_z z,\hspace{1.5cm} \...
...;\left(\begin{array}{c}0 0 1\end{array}\right),\quad \dot{\vec{e}}_z\;=\;0;$    
  (861)
$\displaystyle \vec{v}\;$ $\displaystyle =\;\vec{e}_r v_r + \vec{e}_{\varphi} v_{\varphi} + \vec{e}_...
...e}_r \dot{r} + \vec{e}_{\varphi} r \dot{\varphi}  +  \vec{e}_z \dot{z},$    
$\displaystyle \vec{b}\;$ $\displaystyle =\;\vec{e}_r b_r + \vec{e}_{\varphi} b_{\varphi} + \vec{e}_...
...t(2\dot{r}\dot{\varphi} + r \ddot{\varphi}\right)  +  \vec{e}_z \ddot{z}.$    

Das in Gln. (8.58) und (8.57a) verwendete Verfahren wird nun allgemein für beliebige krummlinige orthogonale Koordinaten $ \;u=u_1$, $ v=v_1$, $ w=w_1\;$ angeschrieben. Aus geometrischen Überlegungen berechnet man die Einheitsvektoren $ \;\vec{e}_u$, $ \vec{e}_v$, $ \vec{e}_w\;$ in kartesischen Koordinaten. Dies sind die normierten Tangentenvektoren an die drei Raumkurven $ \;u_i=variabel$, $ u_j=$const., $ u_k=$const. $ i, j, k = 1, 2,
3$ und zyklisch.

$\displaystyle \vec{e}_u\;$ $\displaystyle =\;\vec{e}_u(u,v,w),$    
$\displaystyle \vec{e}_v\;$ $\displaystyle =\;\vec{e}_v(u,v,w),$ (862)
$\displaystyle \vec{e}_w\;$ $\displaystyle =\;\vec{e}_w(u,v,w).$    

Daraus findet man die Zeitableitung der Vektoren

$\displaystyle \frac{d\vec{e}_{u_i}}{dt}\;=\;\dot{\vec{e}}_{u_i}\; =\;\frac{\par...
...}}{\partial w}\dot{w}\;=\; \frac{\partial\vec{e}_{u_i}}{\partial u_j}\dot{u_j}.$ (863)

Die drei partiellen Ableitungen jedes Einheitsvektors lassen sich auf das vollständige System von Basisvektoren aufspannen:

$\displaystyle \frac{\partial\vec{e}_{u_i}}{\partial u_j}\;=\;f_{ijk}(u,v,w) \vec{e}_{u_k}.$ (864)

Die 27 Funktionen $ \;f_{ijk}\;$ hängen von den $ \;u$, $ v$, $ w\;$ ab. Einsetzen von Gl. (8.64) in Gl. (8.63) gibt:

$\displaystyle \dot{\vec{e}}_{u_i}\;=\;f_{ijk} \dot{u}_j \vec{e}_{u_k}.$ (865)

Aus der Orthogonalität der Basisvektoren ( $ \vec{e}_{u_i}\cdot\vec{e}_{u_j}=\delta_{ij}$) und ihrer Normiertheit ( $ \vec{e}_{u_i}^{ 2}=1$, $ \dot{\vec{e}}_{u_i}\cdot\vec{e}_{u_i}=0$) folgt: $ \;f_{1j1}=f_{2j2}=f_{3j3}\equiv 0$. Der Ortsvektor $ \;\vec{r}\;$ wird auf die Basisvektoren aufgespannt:

$\displaystyle \vec{r}\;=\;r_u \vec{e}_u + r_v \vec{e}_v + r_w \vec{e}_w.$ (866)

Zur Berechnung der Geschwindigkeit werden die Zeitableitungen der Einheitsvektoren durch die Ausdrücke von Gl. (8.65) ersetzt:

$\displaystyle \vec{v}\;$ $\displaystyle =\;v_u \vec{e}_u + v_v \vec{e}_v + v_w \vec{e}_w$    
  $\displaystyle =\;\dot{\vec{r}}\;=\;\dot{r}_u \vec{e}_u + \dot{r}_v \vec{e}_...
...}_w + r_u \dot{\vec{e}}_u + r_v \dot{\vec{e}}_v +  r_w \dot{\vec{e}}_w$    
  $\displaystyle =\;\dot{r}_{u_k} \vec{e}_{u_k} + r_{u_i} f_{ijk} \dot{u}_j \vec{e}_{u_k},$    
$\displaystyle v_{u_k}\;$ $\displaystyle =\;\dot{r}_{u_k} + r_{u_i} f_{ijk} \dot{u}_j.$ (867)

Differentiation von $ \;\vec{v}\;$ und nochmalige Anwendung von Gl. (8.65) gibt die entsprechenden Ausdrücke für die Komponenten der Beschleunigung.
Z.B. lauten in Kugelkoordinaten $ \;r$, $ \vartheta $, $ \varphi\;$ die Basiseinheitsvektoren:
\begin{subequations}\begin{align}\vec{e}_r\;&=\;\frac{\vec{r}}{r}\;=\; \left(\be...
...ta \cos\varphi 0\end{array} \right). \nonumber \end{align}\end{subequations}

Den Gleichungen (8.65) (vgl. (8.57)) entsprechen nun:
\begin{subequations}\begin{align}\dot{\vec{e}}_r\;&=\;\vec{e}_{\vartheta} \dot{...
...a} \cos\vartheta\right) \dot{\varphi}. \nonumber \end{align}\end{subequations}

Damit erhält man für Lage, Geschwindigkeit und Beschleunigung:
\begin{subequations}\begin{align}\vec{r}\;&=\;\vec{e}_r r ;  [0.5em] \vec{v}...
...eta  \ddot{\varphi}\right). \nonumber \end{split} \end{align}\end{subequations}

Damit erhält man für die Bewegungsgleichung im Felde einer Zentralkraft:

  $\displaystyle m \ddot{\vec{r}}\;=\;\vec{F}\;=\;f(r) \frac{\vec{r}}{r} ;$    
  $\displaystyle m \ddot{r} - m r\left(\dot{\vartheta}^2 + \sin^2\vartheta \dot{\varphi}^2 \right)\;=\;f(r),$    
  $\displaystyle m\left(2\dot{r} \dot{\vartheta} + r \ddot{\vartheta}  - r \sin\vartheta \cos\vartheta \dot{\varphi}^2 \right)\;=\;0,$ (868)
  $\displaystyle m\left(2\dot{r} \sin\vartheta \dot{\varphi} +  2r \cos\varth...
...,r \sin\vartheta  \ddot{\varphi}\right)\;=\;0\;\Big\vert\cdot(-\sin\vartheta)$    
  $\displaystyle \frac{d}{dt}L_z\;=\;\frac{d}{dt}\left(-m r^2 \sin^2\vartheta  ...
...rphi}\right)\;=\;\frac{d}{dt} \left(\sin\vartheta L_{\vartheta} \right)\;=\;0.$    

Die in der letzten Zeile benützte Komponente des Drehimpulses findet man aus:

$\displaystyle \vec{L}\;=\;m\left(\vec{r}\times\vec{v}\right)\;$ $\displaystyle =\; m r \vec{e}_{\vartheta}\times\left(\vec{e}_{\vartheta} r \dot{\vartheta}  + \vec{e}_{\varphi} r \sin\vartheta \dot{\varphi}\right)$    
  $\displaystyle =\;\vec{e}_{\varphi} m r^2 \dot{\vartheta} -  \vec{e}_{\vartheta} m r^2 \sin\vartheta \dot{\varphi} ;$ (869)
$\displaystyle \vec{L}^2\;=\;L^2\;$ $\displaystyle =\;m^2r^4\left(\dot{\vartheta}^2 +  \sin^2\vartheta \dot{\varphi}^2\right).$    

Das Quadrat des Drehimpulses setzt man in die erste der obigen Bewegungsgleichungen (8.68) ein, ebenso das Potential für die radiale Kraft $ \;f(r)=-\partial U/\partial r$. Dann erhält man den Energiesatz:

$\displaystyle \frac{dE}{dt}\;=\;\frac{d}{dt}\left[\frac{m}{2}\left(\dot{r}^2 + \frac{L^2}{m^2r^2} \right) + U(r) \right] \;=\;0.$ (870)

Christian Sommer 2003-01-27