Unterabschnitte

Dynamik des Massenpunktes

Um Gesetzmäßigkeiten für die Bewegung von Körpern zu finden, wird zunächst einmal noch eine weitere Vereinfachung der Beschreibung vorgenommen, indem man voraussetzt, daß man die Bewegung des ganzen Körpers durch die Bewegung eines einzelnen seiner Punkte ausreichend genau beschreiben kann. Man sagt dann, daß man das Modell des Massenpunktes (E.: point mass) verwendet.

Als grundlegendes Axiom der Mechanik kann dann in Inertialsystemen die Newtonsche Bewegungsgleichung

$\displaystyle m   \vec b   =   \vec F
$

dienen. Wenn Anfangsbedingungen vorliegen und die Kraft gewissen Bedingungen genügt, dann hat dieses System von Differentialgleichungen eine eindeutige Lösung; diese beschreibt die Bahn des Teilchens. Dies wird an einigen einfachen Beispielen (Fall und Wurf, mathematisches Pendel, Bewegung einer Ladung im Magnetfeld) gezeigt. Weitere wichtige mechanische Größen sind der Impuls, die (kinetische, potentielle, Gesamt-) Energie und der Drehimpuls eines Massenpunktes. Diese Größen bleiben während der Bewegung konstant (erhalten), wenn die Kräfte bestimmte Bedingungen erfüllen. Diese Konstanz der sog. Integrale der Bewegung ist sehr nützlich bei der Lösung der Bewegungsgleichungen und ermöglicht in vielen Fällen einen qualitativen Überblick über den Verlauf der Bewegung zu erhalten. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Phasenraum.

Aufstellung des Kraftgesetzes in Inertialsystemen

Da man die Abhängigkeit der Bewegungsvorgänge von äußeren Einflüssen untersuchen will, ist es zweckmäßig, bei der Aufstellung von Gesetzen Bezugssysteme heranzuziehen, in denen sich die Körper bei Abwesenheit äußerer Einflüsse besonders einfach bewegen. Dazu führt man den Begriff des Inertialsystems (E.: inertial frame of reference) ein.

Definition: Unter einem Inertialsystem versteht man ein Bezugssystem, in dem sich alle Körper, die keinen äußeren Einflüssen unterliegen, mit konstanter Geschwindigkeit auf geraden Bahnen bewegen (gleichförmige Bewegung, E.: uniform motion).

Die Existenz von Inertialsystemen ist dadurch noch nicht sichergestellt, doch führt die Annahme ihres Vorhandenseins im weiteren Aufbau der Mechanik auf keine Widersprüche, denn die obige Definition besagt, daß alles, was die Körper zu einer nicht gleichförmigen, geraden Bewegung veranlaßt, als äußerer Einfluß betrachtet wird. Es lassen sich nun tatsächlich Systeme finden, in denen alle diese Einflüsse bestimmten Umständen eindeutig zugeordnet werden können. (Z.B. Erdanziehung).

Man untersucht nun in Inertialsystemen Klassen von Bewegungsvorgängen, die sich durch gemeinsame äußere Umstände auszeichnen, wie z.B. die Bewegungen unter Einfluß der Schwere (Fall und Wurf), oder jene von Himmelskörpern, oder von elektrisch geladenen Teilchen, usw. Man findet dann, daß sich für alle solche Klassen Gesetze für die Beschleunigung aufstellen lassen, die nur Konstanten enthalten, die für die ganze Klasse bezeichnend sind, aber nicht solche, die die einzelnen Bewegungen kennzeichnen. Z.B findet man für Fall und Wurf das Gesetz

$\displaystyle b_{i} = g_{i}   , \qquad \vec b = \vec g   ,
$

wobei $ g_{i}$ ein konstanter Vektor ist, der senkrecht nach unten zeigt; oder für die Bewegung der Planeten um die Sonne

$\displaystyle \vec b = \frac{C}{r^3}  \vec r   , \quad b_{i} = \frac{C}{r^3} x_{i}, \quad
r = \sqrt{x_{i}x_{i}} = \sqrt{\vec {r}^{ 2}}   ,
$

wobei $ \vec r = x_{i}$ die Koordinaten des Planeten bezüglich der Sonne sind. In vielen anderen Fällen (z.B., wenn man Körper durch Federn oder durch elektrische Kräfte beschleunigt) findet man, daß verschiedene Körper bei sonst gleichen Umständen verschiedene Beschleunigungen erfahren, was einen dazu veranlaßt, die Einflüsse, die die Beschleunigung bestimmen, in einen Beitrag zu zerlegen, der von den beschleunigten Körpern selbst stammt, und in die übrigen Beiträge, die von den sonstigen Umständen herrühren, die zur Bewegung Anlaß geben. Dazu wird jedem Körper eine nicht negative reelle Zahl, seine Masse $ m$, zugeordnet. Man trifft die Festsetzung, daß eine Verbindung von mehreren Körpern mit den Massen $ m_{i}$ die Masse $ \sum m_{i}$ zukommt. Ferner wird die Kraft $ F_{i}$ (oder $ \vec F$) eingeführt durch

$\displaystyle \fbox{\parbox{5cm}{\begin{displaymath}F_{i} = m \cdot b_{i}, \qquad \vec F = m \cdot \vec b \end{displaymath}}}$ (31)

und es werden die Beschleunigungsgesetze als Kraftgesetze formuliert. Damit erreicht man in vielen Fällen eine Form der Bewegungsgesetze, die auch von der besonderen Konstanten des einzelnen Körpers, von seiner Masse, unabhängig sind. Dieses Axiom über den Zusammenhang von $ m, b_{i} $ und $ F_{i}$ heißt das Newtonsche Gesetz (2. Newtonsches Axiom). Im Fall der Schwerebeschleunigung gilt demnach

$\displaystyle F_{i} = m \cdot g_{i}, \qquad \vec F = m \cdot \vec g,$ (32)

wobei $ g_{i}$ ein bekannter konstanter Vektor ist; die Kraft hängt also nur noch von der Masse ab. Um Massen zu messen, kann man dann so vorgehen, daß man eine Einheitsmasse festlegt und die von der Schwere verursachten Kräfte durch Auslenkungen von Federn mißt. Aus dem obigen Gesetz der Planetenbewegung schließt man dann auf das Newtonsche Attraktionsgesetz:

$\displaystyle \vec F = - m \frac{\gamma M}{r^{3}}  \vec r.$ (33)

Gesetz der vektoriellen Addition der Kräfte

Es seien mehrere Beschleunigungsgesetze gegeben, die jedes für sich einem Körper zu den Beschleunigungen $ {\vec b}^{\alpha}$ Anlaß geben mögen ( $ 1 \leq \alpha \leq n$). Dann macht man die Beobachtung, daß, wenn die für das Auftreten jeder einzelnen Beschleunigung notwendigen Umstände alle zugleich vorliegen, der Körper die gesamte Beschleunigung $ \sum_{\alpha}{\vec b}^{\alpha}$ erfährt, also die vektorielle Summe der einzelnen Beschleunigungen. Das gilt für jeden Körper. Aufgrund der Definition der Kräfte gilt dann auch für die Kräfte:

Die Gesamtkraft $ F_{i}$ , die an einem Körper wirkt, wenn die Umstände für das Auftreten der einzelnen Kräfte $ {F}_{i}^{\alpha}$ zugleich vorliegen, ist gleich

$\displaystyle F_{i} = \sum_{\alpha=1}^{n}F_{i}^{\alpha}, \qquad \vec F = \sum_{\alpha=1}^{n} \vec F^{\alpha}.$ (34)

Dies ist das Gesetz der vektoriellen Addition der Kräfte.


Existenz der Lösungen der Newtonschen Bewegungsgleichungen

Vom mathematischen Standpunkt sind die Newtonschen Bewegungsgleichungen (3.1):

$\displaystyle m \ddot{x}_{i} = F_{i}(x_{j},\dot{x}_{j},t), \qquad i,j = 1,\ldots,f$ (35)

ein System von $ f$ gekoppelten gewöhnlichen Differentialgleichungen 2. Ordnung. $ f$ heißt die Zahl der Freiheitsgrade (E. degrees of freedom); für einen freien Massenpunkt im dreidimensionalen Raum $ f = 3$. Dieses System wird für die Formulierung des Satzes über die Existenz der Lösungen in ein solches erster Ordnung übergeführt durch die Substitution $ y_{i} = \dot{x}_{i}$ (A. Duschek, Vorlesungen über höhere Mathematik III, $ S$ 5.3):
$\displaystyle \begin{eqnarray}\dot{x}_{i} &=&\hspace{1.04cm} y_{i} \hspace{1.04...
...\frac{1}{m}F_{i}(x_{j},y_{j},t) \; := \; f_{f+i}(x_{j},y_{j},t). \end{eqnarray}$    

Wenn man dieses System allgemein löst, dann hängt diese allgemeine Lösung noch von $ 2f$ willkürlichen Integrationskonstanten ab. Diese (und damit die spezifische Lösung für das betrachtete Problem) werden spezifiziert durch vorgegebene Anfangswerte, die die Funktionen $ x_{i}(t),
y_{i}(t)$ zum vorgegebenen Zeitpunkt $ t = t_{0}$ erfüllen sollen (Anfangsbedingungen):

$\displaystyle t = t_{0}: \quad \begin{array}{ccccc} x_{i} & = & x_{i}^{0}, &&  \dot {x}_{i} & = & y_{i} & = & y_{i}^{0} . \end{array}$    

Über die Existenz der Lösungen gilt der folgende Satz:
In einem ($ 2f+1$)-dimensionalen Bereich um $ t_{0}, x_{i}^{0}, y_{i}^{0} $ seien

  1. die Funktionen $ f_{i}$ beschränkt:

    $\displaystyle \vert f_{i}(x_{j},y_{j},t) \vert < M =$   const.$\displaystyle < \infty$ (37)

  2. und gehorchen einer Lipschitzbedingung:
    $\displaystyle \vert f_{i}(x_{j}^{1},y_{j}^{1},t) - f_{i}(x_{j}^{2},y_{j}^{2},t)...
...eft(\vert x_{i}^{1}-x_{i}^{2} \vert + \vert y_{i}^{1}-y_{i}^{2}\vert\right)
 ,$     (38)
    $\displaystyle C =$   const.$\displaystyle < \infty$      

    (die $ x_{i}^{1}, y_{i}^{1}$ und $ x_{i}^{2}, y_{i}^{2}$ sind die Koordinaten zweier Punkte aus dem ($ 2f+1$)-dimensionalen Bereich um die Anfangswerte): Dann existiert eine eindeutige Lösung $ x_{i} = \varphi_{i}(t) , y_{i} = \psi_{i}(t)$ in einem Teilbereich um $ t_{0}$, wobei $ \varphi_{i}(t_{0}) = x_{i}^{0}, \psi_{i}(t_{0}) = y_{i}^{0} $.

Die obigen Bedingungen haben folgende physikalische Bedeutung:
Die $ f_{i}$ (i = 1,...,f) erfüllen als lineare Gleichungen die Bedingungen (3.7) und (3.8) in trivialer Weise. Aus (3.5), (3.6b) und (3.7) folgt:

$\displaystyle \vert F_{i} \vert < M,
$

d.h., die Kraft muß im untersuchten Bereich beschränkt sein. Die Lipschitzbedingung bedeutet, daß der Zuwachs der die Funktion $ f$ darstellenden Kurve beschränkt ist, d.h. der Zuwachs der Kraft beim Fortschreiten im Raum muß beschränkt sein. Manchmal wird anstelle der Lipschitzbedingung die etwas einschneidendere Bedingung der Existenz stetiger partieller Ableitungen der Funktionen $ f_{i}$ nach den $ x_{j}, y_{j}$ vorausgesetzt (W.I.Smirnow, Lehrgang der höheren Mathematik II, §2, Kap. 18).

Obiger Existenzsatz gilt nur in einem gewissen Bereich um die Anfangswerte und in einem beschränkten Zeitintervall. Oft sind in der Mechanik aber die Lösungen und deren Verhalten für lange, wenn nicht für alle Zeiten von Interesse. Solche globale Aussagen sind aber nur in seltenen Fällen möglich, meist nur in solchen, in denen sich analytische Ausdrücke für die Lösungen der Bewegungsgleichungen angeben lassen.

Einige Beispiele

Die Hauptaufgabe der Mechanik besteht in der Lösung der Newtonschen Bewegungsgleichung (3.1) bzw. (3.5). Im allgemeinen stellen diese ein System von gekoppelten gewöhnlichen Differentialgleichungen dar. In §3.3 ist angeführt worden, daß unter sehr allgemeinen Bedingungen diese eine Lösung besitzen. Die praktische Berechnung derselben ist aber oft sehr schwierig und es läßt sich kein universelles Verfahren angeben. In diesem Paragraphen werden einige einfache Beispiele von Lösungsverfahren vorgeführt.


Freier Fall im Schwerefeld der Erde

Eine Masse $ m$ befindet sich im Schwerefeld in der Höhe $ h$ über dem Boden (Abb. 3.1(a) ). Es ist zweckmäßig, das Koordinatensystem so zu legen, wie in Abb. 3.1(b) gezeigt. Die Kraft ist dann:

$\displaystyle \vec F \hat{=} F_{i} = (0,0,-mg) .$ (39)

Abbildung: Links: a) Masse $ m$ im Schwerefeld in der Höhe $ h$ über dem Boden. Mitte: b) Wahl des Koordinatensystems. Rechts: c) Vom Boden wird die Masse $ m$ mit der Anfangsgeschwindigkeit $ v_0$ in die Höhe geworfen.
\includegraphics[width=15cm]{SK3A1}

Die Bewegungsgleichung und deren allgemeine Lösung sind dann:

\begin{displaymath}
\begin{array}{cccccc}
m\ddot{x}_{i} = F_{i}: & m\ddot{x}_{1}...
...- mg, & x_{3} = c_{1}t + c_{0} & - g \frac{t^2}{2}.
\end{array}\end{displaymath}

$ a_{0}, a_{1}, b_{0}, b_{1}, c_{0}, c_{1}$ sind willkürliche Integrationskonstanten. Man muß zu deren Bestimmung die Anfangsbedingungen kennen.
Physikalisch: Zur Zeit $ t=0$ befinde sich die Masse $ m$ in der Höhe $ h$ in Ruhe.
Mathematisch:

\begin{displaymath}
\begin{array}{cccc}
x_{1}(t=0) = & x_{2}(t=0) = 0 , & x_{3}(t=0) = h; & \\
& \dot{x}_{i}(t=0) = 0 , && i = 1,2,3.
\end{array}\end{displaymath}

Einsetzen in die allg. Lösung gibt:
$\displaystyle x_{1}(0) = a_{0} \stackrel{!}{=} 0 ,$   $\displaystyle \dot{x}_{1}(0) = a_{1} \stackrel{!}{=}
0,$  
$\displaystyle x_{2}(0) = b_{0} \stackrel{!}{=} 0 ,$   $\displaystyle \dot{x}_{2}(0) = b_{1} \stackrel{!}{=}
0,$  
$\displaystyle x_{3}(0) = c_{0} \stackrel{!}{=} h ,$   $\displaystyle \dot{x}_{3}(0) = c_{1} \stackrel{!}{=}
0.$  

Wir erhalten also die spezielle Lösung für unser Problem:

$\displaystyle x_{1}(t) = x_{2}(t) \equiv 0,   
x_{3}(t) = h - \frac{1}{2} gt^{2} ,    t \in I.
$

Durch die physikalische Situation ergibt sich eine Einschränkung des Intervalles I, in dem die unabhängige Variable $ t$ variieren darf:

$\displaystyle I = \left[ 0, \sqrt{2h/g} \right] .
$

Zur Zeit $ t=2h/g$ trifft die Masse $ m$ auf dem Boden auf. Für Zeiten $ t \geq 2h/g$ ist die Lösung: $ x_{i}(t) \equiv 0$.


Senktechter Wurf im Schwerefeld der Erde

Kraft und Bewegungsgleichungen wie in §3.4.1; es wirkt nur die Schwerkraft, daher auch gleiche allg. Lösung.

Die Anfangsbedingungen sind aber anders (s. Abb. 3.1):

\begin{displaymath}
\begin{array}{cccccccccc}
x_{1}(0) & = & a_{0} & \stackrel{!...
...ot{x}_{3}(0) & = & c_{1}
& \stackrel{!}{=} & v_{0}.
\end{array}\end{displaymath}

Die spezielle Lösung ist:

\begin{displaymath}
\begin{array}{ccccl}
x_{1}(t) = x_{2}(t) \equiv 0, & x_{3}(t...
... \\
& x_{i}(t) & \equiv & 0, & t \geq 2v_{0}/g.
\end{array}
\end{displaymath}

Am höchsten Punkt der Bahn hat der Massenpunkt die Geschwindigkeit Null.

$\displaystyle \dot{x}_{3}(t_{m}) = v_{0} - gt_{m} \stackrel{!}{=} 0,\qquad t_{m} = v_{0}/g,
\qquad x_{3m} = x_{3}(t_{m}) = v_{0}^{2}/2g.
$


Bewegung eines geladenen Teilchens in einem homogenen Magnetfeld

Wir zeigen nun an zwei weiteren Beispielen die Verwendung der Formeln (2.6) - (2.8) für Tangential- und Normalbeschleunigung in Zusammenhang mit dem 2. Newtonschen Axiom, Gl. (3.1).
Die Kraft, die ein magnetisches Feld auf ein bewegtes geladenes Teilchen ausübt, heißt Lorentzkraft. Sie hat je nach Maßsystem etwas verschiedenes Aussehen:

cgs-System:
e = Ladung des Teilchens (Elementarladung: $ 4.8 \cdot 10^{-10} $ cgs-Einh.),
c = Vakuumlichtgeschwindigkeit $ \approx  3 \cdot 10^{10}  $ cm/s.

$\displaystyle \vec F_L = \frac{e}{c}[\vec v, \vec B] .
$

MKSA-System:
e = Ladung des Teilchens (Elementarladung: $ 1.6 \cdot 10^{-19}$ Cb), $ [e] = As = Cb$;
$ B =$ magnetische Induktion, $ [B] = T = Vs/m^{2}$ .

$\displaystyle \vec F_L = e[\vec v, \vec B] .$ (310)

Dieses Gesetz stammt aus der Erfahrung: Kraft auf stromdurchflossenen Leiter im Magnetfeld, bewegte Ladung = Strom. Aus der Bewegungsgleichung (3.11) wird berechnet:

$\displaystyle m \vec{b}  =  \vec{F_{L}}  =  e [ \vec{v}, \vec{B} ]   \Big\vert \cdot \vec{v},$ (311)

$\displaystyle m(\vec v,\dot{\vec v}) = \frac{d}{dt} \frac{m}{2} v^{2} = e  \vec v \cdot [\vec v,
\vec B] = 0,
$

$\displaystyle mv^{2}/2 =$   const.$\displaystyle \quad \Rightarrow \quad v =$   const.$\displaystyle ,  \dot{v} = 0 .$ (312)

Ein Magnetfeld kann den absoluten Betrag der Geschwindigkeit nicht ändern, sondern nur deren Richtung. Dies ist eine Folge davon, daß die Kraft auf der Geschwindigkeit senkrecht steht. Da die Kraft auch senkrecht zum Magnetfeld steht, ist die Geschwindigkeit in Richtung des Magnetfeldes konstant:

$\displaystyle \vec F_{L\Vert} = 0 , \quad \dot {\vec v}_{\Vert} = 0 , \quad
\vec v_{\Vert} =$   const.

($ \Vert$ = parallel zum Magnetfeld). Aus (2.6) - (2.8) und (3.1) folgt mit (3.12)

$\displaystyle m \vec b = m \underbrace{\dot{v}}_{= 0} \vec e_{t} - m \frac{v^2}{R} \vec e_{n} =
e[\vec v,\vec B] .
$

$\displaystyle [\vec v, \vec B] \sim \vec e_{n} ,
$

$\displaystyle mv/R = \vert e B \vert   \vert \sin(\vec v, \vec B)\vert .
$

Ist das Magnetfeld homogen, $ \vec B$ = const., und steht die Anfangsgeschwindigkeit des Teilchens senkrecht zum Magnetfeld, dann ist

$\displaystyle \vec v \perp \vec B \quad \Rightarrow \quad \vert \sin(\vec v,\vec B) \vert
= 1 ,
$

$\displaystyle \fbox{\parbox{4cm}{\begin{displaymath}R = m v/ \vert eB \vert\end{displaymath}}}$ (313)

Die Bahn ist ein Kreis mit Radius $ R$. Erfolgt der Einschuß nicht senkrecht zu $ \vec B$, dann ist die Bahn eine Schraube auf einem Zylinder vom Radius $ mv_{\perp} / \vert eB \vert$ . Obige Rechnungen sind nichtrelativistisch, nur gültig für $ v \stackrel{<}
{\sim} 0.2 c$ .

Zahlenbeispiele:

  1. Protonenzyklotron: $ B = 1.6  T,  m = 1.7 \cdot 10^{-27} kg, 
e = 1.6 \cdot 10^{-19} As,  v = 5,5 \cdot 10^{7} m/s  (\sim 20 $ MeV Protonen): $ R = .37 $ m.
  2. Proton im Magnetfeld der Erde: $ B = 10^{-5} T,  v = 1  km/s: R = 1,1 $ m .


Das mathematische Pendel

Das mathematische Pendel (E.: mathematical pendulum) besteht aus einer punktförmigen Masse $ m$ an einer gewichtslosen Stange der Länge $ \ell$, die in einer Ebene schwingen kann (Abb. 3.2). Die Newtonsche Bewegungsgleichung wird in eine Normalkomponente in Richtung der Stange und in eine Tangentialkomponente senkrecht dazu zerlegt. Eine Bewegung in der Normalenrichtung ist durch die Starrheit der Stange unmöglich.

Abbildung 3.2: Das mathematische Pendel.
\includegraphics[width=7cm]{SK3A2}

\begin{displaymath}\begin{array}{cc} m  b_{n}  =  F_{n} , & R  =  \ell  = ...
...rrow \quad b_{n} = 0 .  m  b_{t}  =  F_{t} . & \end{array}\end{displaymath}    

Für die tangentielle Beschleunigung und Kraft erhält man:

$\displaystyle v  =  \ell  \dot{\varphi}, \quad \dot{v}  =  b_{t}  =  \ell  \ddot{\varphi}, \quad
F_{t}  =  -  m  g  \sin\varphi .
$

Die exakte Bewegungsgleichung lautet also:

$\displaystyle m  \ell  \ddot{\varphi}  =  -  m  g  \sin\varphi, \qquad \...
...math}\ddot{\varphi}  +  \frac{g}{\ell}  \sin\varphi = 0. \end{displaymath}}}$ (314)

Diese Gleichung läßt sich exakt lösen; dies ist aber etwas kompliziert und erfolgt erst später. Hier nur eine Näherung für kleine Schwingungen. Dann geht Gl. (3.14) in die gewöhnliche Schwingungsgleichung über, deren allgemeine Lösung man sofort angeben kann.

$\displaystyle \varphi « 1, \quad \varphi \leq 5°, \quad \sin\varphi = \varphi -
\underline{\frac{\varphi^{3}}{6} + \cdots}  ;
$

$\displaystyle \ddot{\varphi} + \omega_{0}^{2} \varphi = 0, \quad \omega_{0}^{2} = \frac{g}{\ell},
\quad \varphi = A \cos(\omega_{0}t) + B \sin(\omega_{0}t).
$

Für den Maximalausschlag $ \varphi = \varphi_{0}$ als Anfangsbedingung erhält man die spezielle Lösung:

$\displaystyle t = 0: \quad \varphi = \varphi_{0}, \quad \dot{\varphi} = 0. \quad \varphi = \varphi_{0} \cos(\omega_{0}t).$ (315)

Das Pendel schwingt zwischen $ -\varphi_{0}, \varphi_{0}$ mit der Schwingungsdauer $ T_{0}$ :

$\displaystyle T_{0} = 2 \pi \sqrt{\ell/g} = 2 \pi/\omega_{0}$ (316)

Die exakte Lösung der Bewegungsgleichung (3.14) mittels elliptischer Integrale und Funktionen erfolgt in §6.3.3.

Die Integrale der Kraft. Erhaltungssätze und -größen.

Die Lösung der Newtonschen Bewegungsgleichung erfordert die Lösung eines oft komplizierten Differentialgleichungssystems. In diesem Paragraphen werden einige allgemeine Methoden behandelt, die es gestatten, für gewisse Typen von Kräften die Bewegungsgleichung wenigstens teilweise zu integrieren. Dabei ergeben sich gewisse dynamische Größen, wie z.B. Gesamtenergie oder Drehimpuls, die in bestimmten Typen von Kraftfeldern unverändert (= zeitlich konstant) bleiben. Diese Größen heißen dann Konstante oder Integrale der Bewegung (E.: constants or integrals of the motion) oder Erhaltungsgrößen (E.: conserved quantities). Die Bedingungen, die das Kraftfeld erfüllen muß, damit eine solche Größe erhalten bleibt, werden in Erhaltungssätzen (E. conservation theorems) formuliert. Der wesentliche mathematische Gesichtspunkt besteht darin, die Bewegungsgleichungen derart umzuformen, daß man eine totale Zeitableitung herausziehen kann.

Impuls (Bewegungsgröße)

Die Newtonsche Bewegungsgleichung (3.1) läßt sich auch schreiben als:

$\displaystyle m \vec b = m \ddot{\vec r} = \frac{d}{dt}(m \vec v) = \frac{d \vec p}{dt} = \vec F(\vec r, \dot{\vec r}, t) .$ (317)

Hier wurde eine neue Größe eingeführt, der Impuls oder die Bewegungsgröße:

$\displaystyle \vec p :=   m \vec v .$ (318)

Der Impuls ist ein Maß für die ''Bewegtheit'' eines Teilchens. Gl. (3.17) besagt: Die Kraft bewirkt die Änderung des Impulses. Ist keine Kraft vorhanden, dann bleibt der Impuls konstant, der Massenpunkt führt eine gleichförmig geradlinige Bewegung aus; es gilt der Erhaltungssatz des Impulses (E.: conservation of linear momentum):

$\displaystyle \fbox{\parbox{6.5cm}{\begin{displaymath}\vec F = 0 \quad \Rightarrow \quad \vec p = \mbox{const.}\end{displaymath}}}$ (319)

Integriert man Gl. (3.17) längs der Teilchenbahn $ \vec r(t)$, gilt:

$\displaystyle \Delta \vec p = \vec p(t_{1}) - \vec p(t_{0}) = \int_{t_{0}}^{t_{1}} \vec F(\vec r(t), \dot{\vec r}(t), t) dt.$ (320)

Das Integral auf der rechten Seite heißt der Kraftstoß (E.: impulse); dieser bewirkt die Impulsänderung. Das Integral kann man aber nur berechnen, wenn man bereits die Bahn $ \vec r(t)$ kennt, also bereits das Problem vollständig gelöst hat. Eine näherungsweise Auswertung ist möglich, wenn das Zeitintervall $ \Delta t =
t_{1} - t_{0}$ genügend kurz ist, sodaß die Kraft als konstant approximiert werden kann:

$\displaystyle \Delta \vec p \approx \vec F \Delta t   .
$

Abbildung: a) Arbeit längs geradem Weg, b) Linienintegral für gekrümmten Weg.
[] \includegraphics[scale=0.85]{k3_arbeit} [] \includegraphics[scale=0.75]{k3_linieninteg}

Energie und Arbeit

Die Newtonsche Bewegungsgleichung (3.1) wird skalar mit der Geschwindigkeit $ \dot{\vec r} $ multipliziert und anschließend nach der Zeit integriert:
$\displaystyle m \ddot{\vec r}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \vec F \big\vert \cdot \dot{\vec r}$  
$\displaystyle m(\ddot{\vec r} \cdot \dot{\vec r}) = \frac{d}{dt} \frac{m}{2} \dot{\vec r}^{ 2}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle (\vec F \cdot \dot{\vec r})  \Bigg\vert \int_{t_{0}}^{t_{1}} dt$  
$\displaystyle \frac{m}{2} \dot{\vec r}^{ 2}(t_{1}) - \frac{m}{2} \dot{\vec r}^{ 2}(t_{0})$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \int_{t_{0}}^{t_{1}}\left (\vec F \cdot \frac{d \vec r}{dt} \right) dt$  

Das Integral auf der rechten Seite

$\displaystyle A:=   \int_{t_{0}}^{t_{1}} \left(\vec F \cdot \frac{d \vec r}{dt...
...t_{\vec r_{0}=\vec r(t_{0})}^{\vec r_{1}=\vec r(t_{1})} (\vec F \cdot d \vec r)$ (321)

gibt die Arbeit (E.: work), die die Kraft am Massenpunkt leistet ($ A>0$) oder aus diesem gewinnt ($ A<0$). Bei einem kleinen geradlinigen Wegstück $ \Delta \vec r$ projiziert das innere Produkt den Kraftvektor auf den Weg (Abb. 3.3):

$\displaystyle \Delta A = (\vec F \cdot \Delta \vec r) = F \cos(\vec F, \Delta \vec r)
  \Delta r.
$

Ist der Weg keine Gerade, dann ist die Arbeit das Linienintegral (3.21), in dem jeweils das Wegelement $ d\vec r$ skalar mit dem zugehörigen Wert der Kraft multipliziert wird. Beachte, daß man im allg. den Weg $ \vec r(t)$ angeben muß, längs dem die Integrationskurve von $ \vec r_{0} = \vec r(t_{0})$ nach $ \vec r =
\vec r(t_{1})$ läuft.

Die kinetische Energie (E.: kinetic energy) wird definiert als:

$\displaystyle T :=   \frac{m}{2} \dot{\vec r}^{ 2} = \frac{m}{2} \vec v^{ 2} = \frac{m}{2} v^{2} = \frac{m}{2} \dot x_{i} \dot x_{i} .$ (322)

Aus der obigen Gleichung folgt dann: Die Änderung der kinetischen Energie ist gleich der von der Kraft am Massenpunkt geleisteten Arbeit:

$\displaystyle \Delta T = T(t_{1}) - T(t_{0}) = A .$ (323)

Konservative Systeme. Potential

Zur Berechnung der Arbeit $ A$ gemäß Definition (3.21) muß im allgem. wie bei Gl. (3.20) die Bahn $ \vec r(t)$ des Massenpunktes bekannt sein, also das Problem gelöst sein. Doch gibt es eine wichtige Klasse von Kräften, bei denen diese Kenntnis nicht benötigt wird. Systeme, bei denen der Wert des Arbeitsintegrals (3.21) unabhängig vom Weg ist, heißen konservativ (= energetisch abgeschlossen). Das Arbeitsintegral hängt nur vom Anfangspunkt $ \vec r_{0}$ und vom Endpunkt $ \vec r_{1}$ ab. Wir setzen nun voraus, daß die Kraft $ \vec F$ weder von der Zeit $ t$, noch von der Geschwindigkeit $ \dot{\vec r} $ abhängt. Konservatives System z.B.: elektrostatische Kraft, Gravitationskraft (Abb. 3.4(a))

\begin{displaymath}
\begin{array}{ccc}
\int_{C_{1}} F_{i}  d x_{i} & = & \int_{...
...[2mm]
\int_{C_{1}-C_{2}} F_{i}   dx_{i} & = & 0.
\end{array}\end{displaymath}

Abbildung 3.4: a) Konservatives System b) Nichtkonservatives System
[] \includegraphics[scale=0.7]{k3_konsys} [] \includegraphics[scale=0.7]{k3_nichtkonsys}
Nichtkonservatives System (Abb. 3.4(b)) z.B.: Wasserwirbel, Korkstückchen von 1 nach 2 transportiert auf verschiedenen Wegen.

$\displaystyle \int_{C_{1}} \not= \int_{C_{2}} = \int_{C_{3}}, \quad \int_{C_{1}} < \int_{C_{2}}
$

In einem konservativen System gilt also für einen geschlossenen Integrationsweg:

$\displaystyle \oint \vec F_{i} dx_{i} = 0.$ (324)

Mittels des Stokesschen Integralsatzes kann man dieses Integral umformen:

$\displaystyle \oint_C (\vec F \cdot d \vec r) =
\int_{\cal F}\int ($rot$\displaystyle \vec F \cdot \vec n) df, \qquad
\oint_C F_{i}dx_{i} = \int_{\cal F}\int \varepsilon_{ijk}\frac{\partial F_{k}}
{\partial x_{j}} n_{i} df   .
$

Hier ist $ \cal F$ eine beliebige, von $ C$ begrenzte Fläche mit dem Normalenvektor $ \vec n$. Da in konservativen Systemen die linke Seite Null ist und dieses Resultat für beliebige $ C$ und $ \cal F$ gilt, folgt

$\displaystyle \int_{\cal{F}}\int($rot$\displaystyle \vec F \cdot \vec n)  df = 0, \quad \Rightarrow \quad \fbox{\parbox{3cm}{\begin{displaymath}\mbox{rot} \vec F = 0   .\end{displaymath}}}$ (325)

d.h. daß das Kraftfeld wirbelfrei (E.: irrotational) sein muß. Der Rotor eines Vektorfeldes $ \vec a$ kann berechnet werden gemäß:

   rot$\displaystyle   \vec a(x,y,z) = \nabla \times \vec a =
\left\vert \begin{arra...
...artial}{\partial z} [1mm]
a_{x} & a_{y} & a_{z}
\end{array} \right\vert   .
$

In der Vektorrechnung wird gezeigt, daß sich ein wirbelfreies Vektorfeld, also ein Feld, das obiger Bedingung (3.25) genügt, als Gradient eines Skalarfeldes darstellen läßt. Diesen Skalar nennt man das Potential (= potentielle Energie). Da das Integral

$\displaystyle A(\vec r_{1},\vec r_{0}) =
\int_{\vec r_{0}=\vec r(t_{0})}^{\vec r_{1}=\vec r(t_{1})}
(\vec F \cdot d \vec r)
$

dann vom Weg unabhängig ist, kann man nach Wahl eines beliebigen Bezugspunktes $ \vec r_{0}$ jedem Raumpunkt einen Skalar

$\displaystyle A(\vec r) = \int_{\vec r_{0}}^{\vec r}(\vec F \cdot d\vec r) \quad := \quad U(\vec r_{0}) - U(\vec r)$ (326)

zuordnen. Man normiert $ U$ meist so, daß $ U(r_{0}) = 0$ ist. Man nennt $ U(r)$ die potentielle Energie (E.: potential energy). Dies ist die Arbeit, die nötig ist, um einen Massenpunkt im Kraftfeld $ \vec F$ vom Punkt $ \vec r_{0}$ zum Punkt $ \vec r$ zu bringen. Punkte gleichen Potentials liegen meist auf einer Fläche. Diese Flächen heißen Äquipotentialflächen (E.: equipotential surfaces).

Elektrostatisches Feld:

Eine Ladung $ e_{1}$ sei in $ \vec r = 0$, die zweite, $ e_{2}$, in $ \vec r$. Gemäß dem Coulombschen Gesetz gilt für die Kraft zwischen den beiden Ladungen: (in MKSA Maßeinheiten)

$\displaystyle \vec F = \frac{1}{4\pi\varepsilon_0}  \frac{e_{1}e_{2}}{r^{2}}  \frac{\vec r}{r},$ (327)

   rot$\displaystyle \vec F  \sim  \varepsilon_{ijk}\partial_{j}x_{k}/r^{3}  = \
\...
...ilon_{ijk}\delta_{jk}r^{-3}  -  3 r^{-5} \varepsilon_{ijk}x_{j}x_{k} \
=  0$   $\displaystyle   r \not= 0.
$

Das Kraftfeld $ \vec F$ ist also wirbelfrei, es existiert ein Potential. Also ist das Arbeitsintegral (3.24) unabhängig vom Verlauf des Integrationsweges. Anstelle von $ C$ wird $ C_{1} + C_{2}$ genommen ($ C_{1}$ ist ein Radiusstück, $ C_{2}$ ein Kreisbogenstück, s. Abb. 3.4(a))

\begin{displaymath}
\begin{array}{cccccc}
C_{1}: & r_{0} \leq \bar r \leq r_{1}...
...bot d \vec r, &
(\vec F \cdot d \vec r) & = 0   .
\end{array}\end{displaymath}

$\displaystyle \int_{\vec r_{0}}^{\vec r}(\vec F \cdot d\vec r) =
\int_{C}(\vec ...
...1}e_{2}}{4\pi \varepsilon_0  \bar r} \bigg\vert^{\bar r = r}_{\bar r = r_0} .
$

Es wird nun als Bezugspunkt $ \vec r_{0} = \infty$ gewählt, dann ist $ U(r_{0}) = \lim_{r \to \infty}(-e_{1}e_{2}/r) = 0$ .

$\displaystyle \fbox{\parbox{8.5cm}{\begin{displaymath}  U(\vec r)  =  U(r) ...
...rac{e_{1}e_{2}}{4\pi \varepsilon_0 }  \frac{1}{ r}  .   \end{displaymath}}}$ (328)

Die Äquipotentialflächen sind die Kugeln $ r$ = const. Gl. (3.27) und (3.28) gelten auch für die Anziehung zweier Massen mit der Ersetzung $ e_{1}e_{2} \to
- \gamma m_{1}m_{2}$ ($ \gamma$ = Gravitationskonstante).

Schwerefeld:

Abbildung: a) Sphärisches elektrostatisches Kraftfeld b) Schwerefeld
[] \includegraphics[scale=0.63]{k3_sph_e_feld} [] \includegraphics[scale=0.63]{k3_schwerefeld}
Der Erdboden wird als Bezugspunkt mit $ z = 0$ genommen (Abb. 3.5(b)).
$\displaystyle \vec F$ $\displaystyle =$ $\displaystyle (0, 0, - mg) ,$  
$\displaystyle U(z)$ $\displaystyle =$ $\displaystyle - \int_{0}^{z}(-mg)d \bar{z} = mg \bar {z} \Big\vert _{0}^{z} = m g z .$ (329)

Die Äquipotentialflächen sind Ebenen parallel zum Erdboden. Die potentielle Energie einer Masse ist proportional zu ihrer Höhe über dem Boden.

Gesamtenergie und deren Erhaltung

Kombination von Gln. (3.23) und (3.26)

$\displaystyle T(t_{1}) - T(t_{2}) = A = U(r_{2}) - U(r_{1}) , \quad
T(t) + U(r(t)) = T(t) + U(r) =$   const$\displaystyle .
$

gibt den Erhaltungssatz der Gesamtenergie E (E.: conservation of total energy): Ist ein Kraftfeld in einem Gebiet des Raumes $ \vec F(\vec r)$
1) unabhängig von der Zeit $ t$ und von der Geschwindigkeit $ \vec v$ und 2) existiert dort rot$ \vec F$ und ist dort rot$ \vec F = 0$, dann ist die Gesamtenergie $ E$ zeitlich konstant, also ein Integral der Bewegung:

$\displaystyle \fbox{\parbox{5cm}{\vspace{3mm} \qquad E := T + U = \mbox{const.}\vspace{3mm} }}$ (330)

Bewegung eines Teilchens der Masse m und der Ladung e in einem Plattenkondensator, an dem die Spannung $ V_{0}$ liegt:

Mit der Anfangsbedingung: $ z = z_{0} : v = 0$ folgt aus (3.30) (Abb. 3.6(a)):

$\displaystyle U(z_{0}) = m v^2/2 + U(z); \quad
m v^2/2 = U(z_{0}) - U(z) = eV_{0} , \qquad (z=z_{0}+d)
$

und die Endgeschwindigkeit des Teilchens ist:

$\displaystyle v = \sqrt{\frac{2eV_{0}}{m}} .
$

Abbildung 3.6: a) Ebenes elektrisches Feld im Plattenkondensator b) Allgemeines elektrisches Feld
[] \includegraphics[scale=0.7]{k3_kondensator} [] \includegraphics[scale=0.7]{k3_allg_e_feld}

Dieser Sachverhalt gilt ganz allgemein für beliebige elektrostatische Felder (Abb. 3.6(b)): Die Änderung der kinetischen Energie ist gleich der durchlaufenen Potentialdifferenz:

\begin{displaymath}
\begin{array}{cccl}
\vec E = -\mbox{grad}   \Phi (\vec r), ...
...V_{0} = - \int_{r_1}^{r_2}(\vec E \cdot d \vec r) .
\end{array}\end{displaymath}

Aus einem Potential $ U(\vec r)$ kann man das Kraftfeld berechnen gemäß

$\displaystyle \fbox{\parbox{10cm}{\begin{displaymath}\vec F(\vec r) = - \nabla ...
...c r), \quad F_{i} = - \frac{\partial U}{\partial x_{i}}   .\end{displaymath}}}$ (331)

Darin ist:

$\displaystyle \nabla U(x,y,z) =$   grad$\displaystyle   U = \left( \frac{\partial U}{\partial x}, \frac{\partial U}{\p...
...y} \frac{\partial U}{\partial y} + \vec e_{z} \frac{\partial U}{\partial z}  .$ (332)

Diese Formel beweist man, indem man den Nablaoperator, wie in Gl. (3.32) definiert, auf Gl. (3.26) anwendet:

$\displaystyle \nabla U(\vec r) = - \nabla \int\limits_{\vec r_{0}}^{\vec r}
(\v...
... \quad
\frac{\partial}{\partial x} \int\limits_{x_{0}}^{x} f(\xi)d \xi = f(x).
$

Die linke, vektorielle Formel entspricht der rechten im eindimensionalen Fall. An jedem Punkt eines Skalarfeldes $ U$ weist der Gradient in die Richtung der größten Änderung von $ U$; ebenso weist die Kraft in Richtung der stärksten Potentialänderung (z.B. auf einem Hang in Richtung der Fallinie).

Mit Gl. (3.31) kann man den Energiesatz (3.30) aus der Newtonschen Bewegungsgleichung (3.1) ableiten:

$\displaystyle m \ddot{\vec r} = \vec F = - \nabla U(\vec r)  \Big\vert \cdot \dot{\vec r}
$

$\displaystyle m(\ddot{\vec r} \cdot \dot{\vec r}) = \frac{d}{dt} \frac{m}{2} \d...
...}{\partial y} + \dot z \frac{\partial U}{\partial z} \right)
= - \frac{dU}{dt}
$

Ist die Kraft zeitabhängig, dann ist das System nicht konservativ. Es kann trotzdem möglich sein, daß man eine zeitabhängige Potentialfunktion $ U(\vec r,t)$ finden kann, sodaß gilt

$\displaystyle \vec F(\vec r,t) = - \nabla U(\vec r,t) .$ (333)

Diese Potentialfunktion $ U(\vec r,t)$ ist aber keine potentielle Energie. Man kann mit ihr den Ausdruck für die Gesamtenergie $ E$ bilden, doch ist diese nicht erhalten, d.i. nicht zeitlich konstant:

$\displaystyle E = T + U(\vec r,t) , \quad \frac{dE}{dt} \neq 0 .
$

Ebenso ist im allg. ein System nicht konservativ, wenn eine Kraft geschwindigkeitsabhängig ist. Z.B. ergibt sich für eine Reibungskraft (E.: frictional force)

$\displaystyle \vec F_{r} = - \alpha \dot{\vec r}$ (334)

aus der Newtonschen Bewegungsgleichung (3.1):

\begin{displaymath}
\begin{array}{ccccc}
m \ddot{\vec r} & = & \vec F_{r} & = & ...
...= & \frac{dE}{dt} = - \alpha \dot{\vec r}^{ 2} < 0
\end{array}\end{displaymath}

Die Gesamtenergie $ E$ fällt hier mit der kinetischen Energie $ T$ zusammen; diese wird durch die Reibung vermindert; die entstehende Wärme verringert die anfänglich vorhandene Menge an mechanischer Energie.

Eine Ausnahme bilden solche geschwindigkeitsabhängigen Kräfte, die senkrecht zur Geschwindigkeit $ \vec v$ des Teilchens stehen. Diese sind konvervativ, doch existiert kein Potential, sondern nur ein verallgemeinertes Potential (s. Kap.11 ). Z.B. gilt für die Lorentzkraft, $ \vec F_{L}$ , Gl. (3.11):

$\displaystyle m \ddot{\vec r} = \vec F_{L} = e [\dot {\vec r} \times \vec B]  ...
... (\frac{m}{2} \dot{\vec r}^{ 2}
\right ) =
\frac{dT}{dt} = \frac{dE}{dt} = 0.
$

Wirbelpunkt oder Wirbelfaden

Dieses Beispiel zeigt, daß ein System bereits durch einen einzigen singulären Punkt nichtkonservativ gemacht werden kann. Das Kraftfeld $ (C>0$ ist eine Konstante, deren Wert hier unwichtig ist)

$\displaystyle \vec F = C \left (\frac{- y}{x^2 + y^2}    ,   \frac{x}{x^2 + y^2}   \right )
$

ist zweidimensional. Es gilt für $ (x,y) \neq (0,0):$   rot$ \vec F = 0$ (Nachrechnen !). An $ (x,y) = (0,0)$ sind $ \vec F$ und rot$ \vec F$ singulär. Diese Singularität der Kraft stellt einen Wirbel dar. Denn das Arbeitsintegral längs eines Kreises um (0,0) hat (unabhängig von dessen Radius $ R$) den Wert $ 2\pi C$. Dies berechnet man, indem man von $ x,y$ auf Polarkoordinaten übergeht:
$\displaystyle (x,y) = R(\cos \varphi,\sin \varphi) , \quad d\vec r = R(- \sin \varphi,
\cos \varphi) d\varphi$      
$\displaystyle \oint(\vec F,d \vec r) = C \int_{0}^{2\pi} \frac{1}{R}(- \sin \va...
... \sin \varphi, \cos \varphi) d \varphi =
C \int_{0}^{2 \pi}d \varphi = C 2\pi .$      

Man sieht, daß rot$ \vec F = 0$ in allen Punkten eines Gebietes erfüllt sein muß, damit das Kraftfeld $ \vec F$ darin wirbelfrei ist. In einem einfach zusammenhängenden Gebiet, das $ (0,0)$ nicht einschließt oder berührt, existiert für obige Kraft ein Potential: $ U = - C \arctan(y/x)$. In einem Ringbereich in dessen Zentrum, das nicht zum Bereich gehört, $ (0,0)$ liegt, ist diese Funktion mehrdeutig, damit kein Potential.


Drehimpuls und Drehmoment

Man bildet das äußere Produkt des Ortsvektors mit der Bewegungsgleichung (3.1)

$\displaystyle \vec r \times \big\vert  m \ddot{\vec r} = \vec F
$

und erhält wegen

$\displaystyle \frac{d}{dt}(\vec r \times \dot{\vec r}) =
\underbrace{(\dot{\vec...
...vec r})}_{= 0} +
(\vec r \times \ddot{\vec r}) = (\vec r \times \ddot{\vec r})
$

die Gleichung

$\displaystyle \frac{d}{dt}m(\vec r \times \dot{\vec r}) = \vec r \times \vec F .$ (335)

Durch das Vektorprodukt mit $ \vec r$ holt man aus der Newtonschen Bewegungsgleichung einen Drehanteil heraus. Die in Gl. (3.35) auftretenden Größen werden in Definitionen erfaßt. Der Drehimpuls (E.: angular momentum, moment of momentum):

$\displaystyle \vec L := m \vec r \times \dot{\vec r}$ (336)

ist ein Maß für die Drehbewegung der Masse $ m$ (mit Lage $ \vec r$) um den Ursprung (Abb. 3.7(a)). Das Drehmoment (E.: torque, moment of force):

$\displaystyle \vec M := \vec r \times \vec F$ (337)

ist ein Maß für die Drehwirkung der Kraft (Abb. 3.7(b)). Der Betrag von Gl. (3.37) gibt:

$\displaystyle M = r F \sin(\vec r,\vec F) .$ (338)

Diese Gleichung zeigt, daß nur die zu $ \vec r$ senkrechte Komponente der Kraft $ \vec F$ zum Drehmoment beiträgt.
Abbildung 3.7: a) Vektorprodukt des Drehimpulses b) Vektorprodukt des Drehmoments
[] \includegraphics[scale=0.7]{k3_vecprod_drehimp} [] \includegraphics[scale=0.7]{k3_vecprod_drehmom}
Mit Gln. (3.36) und (3.37) wird Gl. (3.38) neu geschrieben:


$\displaystyle \fbox{\parbox{3cm}{ \vspace{.5mm} \begin{center}$ \frac{d}{dt} \vec L = \vec M .$ \end{center} \vspace{.5mm} }}$ (339)

Die Änderung des Drehimpulses ist gleich dem Drehmoment der Kraft. Wenn das Drehmoment Null ist, gilt der Erhaltungssatz des Drehimpulses (E.: conservation of angular momentum):


$\displaystyle \fbox{\parbox{6.5cm}{\vspace{3mm} \qquad $\vec M = 0: \quad \frac{d \vec L}{dt} = 0,  \vec L =$ const. \vspace{3mm} }}$ (340)

Der Drehimpuls ist in diesem Fall ein zeitlich konstanter Vektor; er ändert sich nicht während der Bewegung des Massenpunktes. Aus der Konstanz des Drehimpulses folgt:

  1. Die Bewegung ist eben. Gemäß der Definition (3.36) des Drehimpulses stehen $ \vec r$ und $ \dot{\vec r} $ immer senkrecht zu $ \vec L$. Wenn $ \vec L$ fix ist, liegen $ \vec r$ und $ \dot{\vec r} $ immer in der fixen zu $ \vec L$ senkrechten Bahnebene.
  2. Der Flächensatz: Der Fahrstrahl vom Kraftzentrum (= Ursprung) zum Massenpunkt überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen (Abb. 3.8). Die Fläche des vom Fahrstrahl in der Zeit $ \Delta t$ überstrichenen Dreiecks ist:
    Abbildung: Der Flächensatz
    \includegraphics[scale=0.7]{k3_flaechensatz}

    $\displaystyle F_{\Delta} = \frac{1}{2} \left\vert \vec r \times \dot{\vec r}\Delta t \right\vert = \frac{L}{2m}\Delta t =$   const. (341)

Der Drehimpuls ist erhalten, wenn das Drehmoment Null ist. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten:

$\displaystyle \vec M = \vec r \times \vec F = 0: \quad \begin{array}{l}
\vec F ...
...ier Fall},  \vec F \sim \vec r, \mbox{Kraft
radial gerichtet} .
\end{array}
$

Eine wichtige Klasse von Kräften, die die zweite Bedingung erfüllt, sind die Zentralkräfte:

$\displaystyle \vec F = f(r) \frac{\vec r}{r}   ,\quad r = \sqrt{x^{2} + y^{2} + z^{2}} .
$

Die Funktion $ f(r)$ darf nur vom Betrag $ r$ abhängen, nicht aber von den einzelnen Komponenten des Radiusvektors. Eine derartige Kraft besitzt immer ein Potential; dieses ist radialsymmetrisch, nur eine Funktion von $ r$:

\begin{displaymath}\begin{array}{ccccccl} \vec F & = & - \mbox{grad}   U(r) & =...
...ial r}, && U(r) & = & - \int^{r} f(\bar r)d \bar r. \end{array}\end{displaymath}    

Es besteht ein inniger Zusammenhang zwischen der Radialsymmetrie und der Erhaltung des Drehimpulsvektors; die eine bedingt die andere; nicht aber umgekehrt. Dies wird später noch bewiesen werden. Dieser Zusammenhang gilt auch bei geringerer Symmetrie: Ist das Potential achsialsymmetrisch, dann ist die Komponente des Drehimpulses längs dieser Achse erhalten.


Integrale der Bewegung

Eine Erhaltungsgröße (= Integral oder Konstante der Bewegung) ist eine Funktion der Koordinaten, Geschwindigkeiten und der Zeit, die längs der Bahn des Teilchens konstant ist:

$\displaystyle I = I(\vec r,\dot{\vec r},t) =$   const.$\displaystyle ,$ (342)

wenn für $ \vec r$ bzw. $ \dot{\vec r} $ die analytischen Ausdrücke für die Bahn $ \vec r(t)$ bzw. deren Ableitungen eingesetzt werden. Kommt im Ausdruck (3.42) die Zeit $ t$ nicht explizit vor vor, dann heißt $ I(\vec r,\dot{\vec r})$ ein zeitfreies Integral der Bewegung. Um die Konstanz einer Größe $ I$ zu beweisen, ist es nicht nötig, die Lösung $ \vec r(t)$ zu kennen. Bildet man die totale Zeitableitung von Gl. (3.42) und setzt die Newtonsche Bewegungsgleichung (3.1) ein, findet man

$\displaystyle \frac{dI}{dt} = \frac{\partial I}{\partial x_{i}} \dot{x_{i}} + \...
...l v_{i}} \frac{F_{i}}{m} + \frac{\partial I}{\partial t} \stackrel{!}{=} 0   .$ (343)

Die in den vorhergehenden Paragraphen gegebenen Beweise für die Erhaltungssätze des Impulses, der Energie und des Drehimpulses sind zu Gl. (3.43) äquivalent. Die Erhaltung der vorgenannten Größen ist bedingt durch grundlegende Symmetrien der Raum-Zeit, die auch in der Newtonschen Bewegungsgleichung wirksam werden. Die Impulserhaltung resultiert aus der Homogenität des kräftefreien Raumes, die Energiegerhaltung aus der Homogenität der Zeit, die Drehimpulserhaltung aus der sphärischen Symmetrie der Zentralkraft. Weitere Integrale der Bewegung gibt es nur für spezielle Kräfte; z.B. den Laplace-Lenzschen Vektor $ \vec A$ beim Keplerproblem, die Vektoren $ \vec a$ und $ \vec b$ für die Halbachsen der Bahnellipse im linearen Zentralkraftfeld, den Poincaréschen Vektor für die Lorentzkraft im Feld eines einzelnen (hypothetischen) Magnetpoles (s. Ü5 zu Kap. 5).

Integrale der Bewegung sind sehr nützlich für die Lösung eines mechanischen Problems. Sie ermöglichen es, die Zahl der abhängigen Variablen und damit die Zahl der Differentialgleichungen zu erniedrigen. Im günstigsten Fall ist mit ihrer Hilfe das Problem vollständig gelöst. Hiezu der folgende
Satz 1:
Kennt man zu einem mechanischen Problem (eines Massenpunktes im dreidimensionalen Raum) 5 zeitfreie Integrale der Bewegung, dann ist die Gestalt der Bahn gefunden. Denn die Unabhängigkeit der Integrale

$\displaystyle I_{i}(\vec r,\dot{\vec r}) = C_{i}   , \qquad i = 1, \ldots , 5
$

bedeutet, daß die Funktionaldeterminante der $ I_{i}$ nach 5 der Variablen $ x,y,z; \dot x,\dot y,\dot z$ ungleich Null ist. Das ist aber auch die Bedingung, daß man die obigen 5 Gleichungen nach diesen 5 Variablen auflösen kann. Eine der Variablen verbleibt als Parameter, z.B. z

$\displaystyle { x = x(z,C_{i}), \quad y = y(z,C_{i}), } \quad \dot x_{j} = \dot x_{j}
(z,C_{i})   .
$

Diesen Satz werden wir bei der Lösung des Keplerproblems benützen. Analog gilt der
Satz 2:
Kennt man 6 unabhängige, zeitabhängige Integrale der Bewegung, dann ist das mechanische Problem vollständig gelöst.

Für die Bewegung eines Teilchens im dreidimensionalen Raum gibt es immer 6 unabhängige Integrale der Bewegung, z.B. die Anfangslage $ \vec r_{0}$ und die -geschwindigkeit $ \dot {\vec r}_{0}$ . Leitet man die Lösung des Problems zu diesen Anfangsdaten nach der Geschwindigkeit ab, erhält man:

$\displaystyle \vec r = \vec R(t;\vec r_{0},\dot{\vec{r}}_0), \quad \dot{\vec r} = \dot{ \vec R}(t;\vec r_{0},\dot{\vec r}_0) .$ (344)

Löst man dieses System von 6 unabhängigen Gleichungen nach den 6 Größen $ \vec r_{0}, \dot{\vec r}_{0}$ auf (dies ist im Prinzip immer möglich), dann bekommt man die 6 Erhaltungsgrößen

$\displaystyle \vec r_{0} = \vec r_{0}(\vec r,\dot{\vec r},t) =$   const.$\displaystyle , \quad
\dot{\vec r}_0 = \dot{\vec r}_0(\vec r,\dot{\vec r},t) =$   const.

Dieser Auflösungsprozess kann dynamisch auch so dargestellt werden: Vom Zeitpunkt $ t$ läßt man das System mit umgekehrter Geschwindigkeit zurücklaufen:

$\displaystyle \vec r_0 = \vec R(-t;\vec r,-\dot{\vec r}), \quad \dot{\vec r}_0
= \dot{ \vec R}(-t;\vec r,-\dot{\vec r}) .
$

Weitere Erhaltungsgrößen, wie z.B. die Energie oder der Drehimpuls hängen von den vorgenannten ab. Aber die Anfangslage und -geschwindigkeit sind ''uninteressante'' Erhaltungsgrößen, sie ermöglichen keine allgemeinen Aussagen über die Bewegung. Im Gegensatz dazu sind Drehimpuls, Gesamtenergie und die anderen im ersten Absatz dieses Paragraphen genannten Erhaltungsgrößen ''interessant'', denn sie gestatten allgemeine Aussagen über die Bewegung und sie schränken in vielen Fällen die Bewegung des Massenpunktes ein. Z.B. die Drehimpulserhaltung bedingt die Ebenheit der Bewegung und den Flächensatz, der Energiesatz eines gebundenen Teilchens verbietet die Entfernung ins Unendliche. Solche interessante Erhaltungsgrößen heißen isolierende Integrale (E.: isolating integrals) der Bewegung und hängen mit der Symmetrie des Kraftfeldes zusammen. Solche isolierende Integrale der Bewegung sind auch von großer Bedeutung für die statistische Mechanik, weil im allg. die Verteilungsfunktion, die den Zustand eines Systems von vielen Teilchen beschreibt, nur von solchen isolierenden Integralen abhängen kann.

Der Phasenraum

Die Bewegung eines Massenpunktes kann man sich als eine Kurve im Raum der Koordinaten vorstellen. Hat das Teilchen 2 Freiheitsgrade, dann ist das eine Kurve in einer Ebene; bei 3 Freiheitsgraden eine Kurve im dreidimensionalen Raum. Aber derartige Kurven können nicht alle Informationen wiedergeben, die zu einer vollständigen Beschreibung einer Bahn gehören; denn es ist nicht ersichtich, mit welcher Geschwindigkeit der Massenpunkt der Kurve im Ortsraum entlangläuft.

Für Darstellungen, die eine vollständige Beschreibung der Bahn liefern, verwendet man den Phasenraum (E.: phase space); dieser wird von allen Lagekoordinaten und allen Geschwindigkeiten aufgespannt. Bei einem Freiheitsgrad ($ f = 1$) ist dieser Phasenraum zweidimensional, z.B. $ (x, \dot{x})$, also eine Ebene. Bei 2 Freiheitsgraden ist der Phasenraum vierdimensional, bei 3 sechsdimensional,..., allgemein 2f-dimensional. Da man einen vier- oder noch höherdimensionalen Raum nicht darstellen kann, muß man sich leider meist mit Projektionen dieses Raumes begenügen. Trotzdem geben diese Darstellungen oft sehr nützliche Einsichten und werden häufig verwendet. Diese wird in den nachfolgenden Kapiteln gezeigt werden.

Die Lösungen (3.44)

$\displaystyle \vec r = \vec R(t;\vec r_0,\dot{\vec r}_0), \quad \dot{\vec r}
= \dot{ \vec R}(t;\vec r_0,\dot{\vec r}_0) .
$

sind Raumkurven im Phasenraum. Jedem Zeitpunkt $ t$ entspricht ein Punkt dieser Kurve; dessen $ 2f$ Koordinaten geben die zu diesem Zeitpunkt vom Massenpunkt angenommene Lagekoordinaten und Geschwindigkeiten an. Man nennt daher diese Raumkurve im $ 2f$-dimensionalen Phasenraum Phasenkurve (E.: trajectory in phase space). Wenn sich der Massenpunkt im Laufe der Zeit bewegt, dann ensprechen aufeinerfolgende Punkte der Phasenkurve seinen aufeinanderfolgenden Zuständen. Den Punkt der auf der Kurve den momentanen Zustand des Massenpunkts beschreibt, nennt man Phasenpunkt (E.: phase point). Während der Bewegung des Massenpunktes läuft er auf der Phasenkurve dahin.

Ein zeitfreies Integral der Bewegung ist eine Funktion der Lagekoordinaten und Geschwindigkeiten:

$\displaystyle I(\vec{r},\dot{\vec{r}})  =  $   const.

Es gibt eine Hyperfläche im Phasenraum. Der Phasenpunkt verbleibt während der ganzen Bewegung auf dieser; mit anderen Worten: die Phasenkurve liegt in dieser Fläche. Gibt es weitere unabhängige zeitfreie Integrale der Bewegung, dann kann die Phasenkurve nur im Durchschnitt all dieser Flächen liegen. Die Bewegungsmöglichkeiten des Phasenpunktes, damit auch des realen Massenpunktes, werden damit mehr oder weniger eingeschränkt. Daraus ist auch ersichtlich, daß es maximal $ 2f-1$ zeitfreie Integrale der Bewegung geben kann. Denn die zugehörigen Flächen schneiden sich dann gerade in einer Kurve, der Phasenkurve. Gäbe es ein weiteres unabhängiges zeitfreies Integral, dann würde die zugehörige Fläche die Phasenbahn in einem Punkt (oder vielleicht eine diskrete Menge von solchen) schneiden; der Phasenpunkt wäre fixiert, der reale Massenpunkt unbeweglich.

Bei isolierenden Integralen der Bewegung ist die zugehörige Fläche im Phasenraum
'' verhältnismäßig einfach '' . Oft schränkt ein solches die Beweglichkeit des Phasenpunktes auf Teilgebiete des Phasenraumes ein. Auch die Bewegung des realen Massenpunkts muß dann einfacher und übersichtlicher sein. Bei nichtisolierenden Integralen der Bewegung können diese Flächen wild oszillieren und vielfach zusammenhängen. Dann ist ihre Wirksamkeit als '' Käfig '' für den Phasenpunkt sehr gering oder nicht existent.

Eine Einsicht über das Vorhandensein von Integralen der Bewegung liefert die von den berühmten französischen Mathematiker erfundene und nach ihm benannte Poincaré-Abbildung. Diese erhält man, indem man im Phasenraum eine geeignete Ebene auswählt und die Punkte einzeichnet, in denen die Phasenkurve die Ebene durchstößt. Sind Integrale der Bewegung vorhanden, dann bilden die Phasenpunkte ein regelmäßiges Muster, liegen oft auf einer Kurve. Liegt kein (oder fast kein) Integral der Bewegung vor, dann ist die Bewegung chaotisch und die Durchstoßpunkte verteilen sich regellos über die Ebene.

Dies alles wird in den nächsten Kapiteln an einigen Beispielen erklärt werden. Man kann auch die Impulskomponenten statt der Geschwindigkeitskomponenten als Koordinaten des Phasenraumes heranziehen. In den meisten Fällen gibt dies nur einen unwesentlichen Unterschied, da sich die beiden Größen nur um die konstante Masse unterscheiden. Im 12. Kapitel wird dann der kanonische Impuls eingeführt werden; dieser ist nicht immer gleich dem gewöhnlichen oder linearen Impuls wie er in diesem Kapitel definiert worden ist. Z.B. bei geschwindigkeitsabhängigen Kräften unterscheidet sich der lineare Impuls (proportional zur Geschwindigkeit) vom kanonischen. Der eigentliche Phasenraum wird mittels des kanonischen Impulses definiert; für manche Untersuchungen kann es aber zweckmäßiger sein, die Geschwindigkeitskomponenten statt der des kanonischen Impulses zu verwenden.

Christian Sommer 2003-01-27